‘Tamtam Fiction’ - exotistische Filmmusik

Erschienen in: Junge Welt 27/28 Juli '96


"Incredible strange" - unter diesem Schlagwort werden zur Zeit allerlei triviale Absonderlichkeiten aus dem Mülleimer der Geschichte gekramt: "Incredible strange music", "Incredible strange films", - mit der trotzigen Liebe zum Geschmacklosen hat dieser Trend auch ein Genre wieder an die Oberfläche geschwemmt, das bis vor kurzem als peinlich unter den Tisch gekehrt wurde: exotische, oder besser exotistische Filmmusik, Musik die zur Untermalung von tropischen Dramen und Dschungelabenteuern dienten. Während der Markt für Soundtrack-CDs boomt und sich die Vertreter der Musikrichtung ‘Jungle’ noch über die rassistischen Implikationen dieser Bezeichnung streiten, tauchen jene musikalischen Exotica vor allem in den neu gegründeten ‘Easy Listening’ - Abteilungen der Plattenläden auf, seit der kürzlich verstorbene Filmmusikkomponist Les Baxter zur Kultfigur dieses neuen Retro-Trends erklärt wurde.

Les Baxters unverwechselbar raffinierter Orchestersound war es, der in den fünfziger und sechziger Jahren in unzähligen exotischen Abenteuerstreifen Verwendung fand. Doch die historischen Wurzeln des exotistischen Genres reichen weiter zurück, bis in eine Zeit Ende der zwanziger Jahre, in der Figuren wie Tarzan geschaffen und die literarischen Vorbilder späterer Voodoo-Legenden entstanden. Damals wurden die Figuren eines weitverzweigten Mythos geschmiedet, der die Trivialkultur bis heute durchzieht: wilde Affen und weiße Helden; dunkle undurchschaubare Stammespriester und unschuldige Jungfrauen, die in Gefahr geraten; und schliellich das Statistenheer der buntbemalten doch gesichtslosen Wilden im afro-indio-ozeanischen Stammeskostüm, zusammenphantasiert aus den Requisitenbeständen Hollywoods. Und selbstverständlich haben sie auch ihre Trommeln, die ihnen von den Filmmusik-Profis untergeschoben werden; ihre Musik ist authentisch unauthentisch - Tamtam Fiction.

Zu den Klassikern gehört "King Kong" von 1933, in dem eine typische Konstellation vorgezeichnet wird: der Affe, die weiße Frau und die Eingeborenen - ein Meilenstein für jenen populären Mythos, der immer wieder das Verhältnis von Wildnis und Zivilisation artikuliert. Besonders vor dem Hintergund der US-amerikanischen Gesellschaft hat diese Gegenüberstellung klare Konnotationen, als Hintergrund für die Psychologie der realen Rassenbeziehungen - darauf haben in den letzten Jahren schwarze Kulturkritiker wie James Snead hingewiesen. Auf dieser Ebene kommt gerade der Musik eine besondere manipulatorische Funktion zu. In King Kong beispielsweise wird die Assoziationskette "Schwarz-Dschungel-Bedrohung" bereits auf der akustischen Ebene aufgebaut, lange bevor die Urwald-Insel überhaupt im Bild zu sehen ist. Als musikalisches Stilmittel dienen hier die Trommeln, oder genauer gesagt Pauken, die in der Orchester-Partitur fürs Urwald-Kolorit vorgesehen sind.

Diese stammt aus der Feder von Max Steiner, einem Schüler von Gustav Mahler, der zu den prägenden Komponisten des frühen Tonfilmzeitalters gehörte. Sein King-Kong-Soundtrack war so erfolgreich, daß er nicht nur stilbildend wirkte, sondern sogar unzählige male wiederverwendet wurde: nicht nur die Produktionsfirma recyclete ihn und untermalte damit einige spätere Kassenfüller, auch Steiner selbst griff in seinen späteren Filmmusiken mehrmals auf das bewährte Material zurück. Dies war problernlos möglich, denn im frühen Tonfilm war die Verknüpfung von Bild und Musik oft recht unspezifisch. So sind beispielsweise im Opfertanz aus "King Kong" die ekstatisch trommelnden Eingeborenen nur im Bild zu sehen, während die Musik in dramatischen Orchesterklängen schwelgt - symptomatisch für eine Auffassung von Filmmusik, die der Oper näher stand als dem Dokumentarfilm. Ganz in der Wagnerschen Tradition verwendete Max Steiner denn auch ein ‘Eingeborenen-Leitmotiv’, um die Verbindung herzustellen.

In der Anfangszeit des Tonfilms wurden die Komponisten von den Filmproduzenten oft rnit widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert: zum einen wurde die Auffassung vertreten, daß der Einsatz von Musik so oft wie möglich durch einen optischen Aufhänger gerechtfertigt werden müsse zum anderen wurde natürlich auch erwartet, daß der Soundtrack nicht den musikalischen Hörerwartungen des Publikums zuwiderlief. Dieser Widerspruch hatte sich bereits in einem anderen exotischen Klassiker jener Zeit deutlich offenbart: In Friedrich Wilhelm Murnaus dokumentarisch angehauchtem Südseefilm "Tabu" von 1929 wurden zwar Einheimische als Akteure eingesetzt, deren authentische Musik ist darin jedoch kaum zu hören - der Soundtrack verwendet fast ausschließlich den Orchesterscore von Hugo Riesenfeld. Dies ist umso erstaunlicher, als berichtet wird, Murnau selbst hätte in Ozeanien extra noch eine kleine Forschungsreise unternommen, um authentische Musik für seinen Film aufzunehmen. Offensichtlich erschienen diese dokumentarischen Aufnahmen den Produzenten jedoch nicht geeignet dem Kinopublikum die richtige Südseeatmosphäre zu vermitteln.

Erst in den letzten Jahrzehnten begann sich ein Ansatz durchzusetzen, der mehr Wert auf die Suggestion dokumentarischer Glaubwürdigkeit legt. Gerade anhand des King-Kong-Stoffes kann man diese Verschiebung in der Ästhetik der Filmmusik deutlich nachvollziehen: In seiner zweiten Verfilmung aus den siebziger Jahren bedient sich die Musik zwar ebenfalls klassischer Stilanleihen, doch diesmal läßt der Soundtrack tatsächlich die bedrohliche Anwesenheit eines Statistenheeres aufgeregter Stammeskrieger erahnen. Im Vergleich zur eher opemhaften Umsetzung der dreißiger Jahre ist die zweite Vertonung zwar nicht weniger phantastisch, doch zielt sie diesmal auf ein fernseherfahrenes Publikum, das aus unzähligen Dokumentarfeatures längst sein eigenes Klischee vom Klang des Wilden destilliert hat. Auch diesmal zeichnet wieder ein erfahrener Hollywood-Profi für die Musik verantwortlich, John Barry, der vor allem durch die Vertonung zahlreicher James Bond-Streifen bekannt wurde.

Nach dem ersten Boom der exotischen Dschungel-Filme in den dreißiger Jahren erfuhr dieses Genre besonders in den Fünfzigern einen zweiten Aufguß. In den USA war damals auch die Blütezeit von Dschungel-Serien wie "Jungle Jim" und "Bomba, the Jungle Boy", zahlreiche heute vergessene B-Movies rankten sich um das Motiv der Dschungelprinzessin, während zur gleichen Zeit in Deutschland eine Berliner Schülerin als "Liane, das Urwaldmädchen" zum Leinwandidol aufgebaut wurde. Unter Hollywoods Filmmusikkomponisten profilierte sich damals vor allem einer als Spezialist fürs Exotische: der legendäre Les Baxter, der sein Handwerkszeug als Arrangeur von Nat King Cole erworben hatte. Von Filmmusikspezialisten als Vielschreiber verrufen, fand Baxter seine Fans langezeit nur unter den eingefleischten Anhängern genialer Geschmacklosigkeiten. Nachdem er bereits vor Jahren im Zuge des Yma-Sumac-Revivals wiederaufgetaucht war - Baxter schuf zahlreiche Orchesterarrangements für das peruanische Stimmwunder - wird sein ‘Exotica-Sound’ nun seit kurzem aufs neue ausgegraben; er scheint in den Sog eines Trends zu geraten., der heute gerade solch effektvoller Gebrauchsmusik neue Aspekte abzugewinnen versucht. Eben noch wegen ihrer immanent ausbeuterischen Grundhaltung als indiskutabel disqualifiziert, erhält diese nun, gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder neue Aktualität: als Vorläufer für eine Musikauffassung, die sich durch radikale Funktionalität auszeichnet und ganz auf kontrollierte Klangwirkung statt auf Ausdruck setzt. Die naive Professionalität. mit der es Les Baxter verstand, sein zusammengesammeltes exotisches Musikmaterial ohne Rücksicht auf dessen Herkunft geschickt zu drapieren, erscheint heute, im postmodetnen Zeitalter des Sampling und des DJ-Kults in ganz neuem Licht.

Exotismus, dieser Begriff trägt heute nicht zu Unrecht einen negativen Beigeschmack: denn Exotismus, das ist auch die Rückseite des Kolonialismus. Der Kitzel des Fremden für die Daheimgebliebenen war er seit dem 19. Jahrhundert ein steter Begleiter westlicher Herrschaftsambitionen. Wenig bekannt ist heute hingegen, daß unter dem Namen Exotisrnus zu Beginn unseres Jahrhunderts auch ein durchaus ernstgemeintes künstlerisches Programm formuliert worden war: der französische Marinearzt und Schriftsteller Victor Segalen war es, der damals einen der bedeutensten Beiträge zum Thema verfaßte: Segalen, der sich langezeit in China aufhielt und der in Ozeanien nach den Spuren Paul Gaugins forschte, verstand Exotismus als Form künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Fremden, die dieses keineswegs einverleiben will, sondern vielmehr zur unmittelbaren Wahrnehmung einer ewigen Unverständlichkeit führt. In diesem Sinne legt auch der Liebhaber von Exotica manchmal eine ehrlichere Haltung an den Tag als der aufgeklärte Weltreisende, der es seinem Ruf schuldig zu sein glaubt, universale Kennerschaft vorzuspiegeln.


CD "King Kong", Soundtrack by Max Steiner (1933), Silva SCN SCCD-901

CD "Mondo Exotica", compiled by Brad Benedict, Ultra-Lounge,Capitol Records 1996, CDP 7243 8 32563 2 7
© 1996 Hans Kroier
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