Ina Wudtke/Heiko Wichmann

Interview mit Eric "I.Q." Gray

nicht gedruckt

Eric "I.Q." Gray ist vor einem Jahr von New York nach Hamburg gezogen. Binnen kürzester Zeit ist es ihm gelungen, die deutsche Independent-Szene mit amerikanischem Rap zu bereichern. Er arbeitete mit Mathias Arfmann und den Goldenen Zitronen zusammen. Auf seiner LP zählt er André Luth, Marc Chung etc. zu seiner "Crew". Trotz des Erfolgs, der dieser Fusion von allen Seiten bescheinigt wird, hat I.Q. in Deutschland kein neues Zuhause gefunden. Er sieht die glückliche Zusammenarbeit lediglich als ein Zeichen für das globale Fortschreiten der schwarzen Hip-Hop-Bewegung an. Der LP-Titel "The Vinyl Call" spielt sowohl auf das bedauerliche Verschwinden der Vinylscheiben an als auch auf die Zeitung "The Final Call" der Nation of Islam.
Entdeckt wurde Eric "I.Q." Gray von Ice-T. In Amerika bekleidete er einen hohen Rang in der Bewegung der 5%er (einer Abspaltung der Nation of Islam). Im Interview machte er gezielten Gebrauch von Schlüsselvokabeln wie Knowledge, Wisdom und Experience. Anspielungen auf das Programm der schwarzen Befreiungsbewegung unterstrich er mit der Redewendung "Know What I'm Saying" (der letzte Song der Platte ist so betitelt). I.Q. ist sehr konzentriert und professionell und gleichzeitig darauf bedacht, daß er keine alten Wunden aufreißt. Wenn das Gespräch im Interview vom Thema abzuweichen drohte, erinnerte er uns an den Zweck des Gesprächs: Back to the Facts. Als das Band schließlich abgestellt war, stieg er auf den jazzigen Groove der Platte, die im Hintergrund lief, ein und lieferte einen hinreißenden Rap, in dem er erklärte, wer er ist. Während der Fotosession war er entspannt und spaßte mit uns herum. Vor einem Dom-Karusell mit Clowns-Figuren wollte er allerdings nicht abgelichtet werden; das wäre nicht sein Stil.
Er sagte uns: Wenn wir gefragt werden sollten, was für ein Mensch I.Q. wäre, sollten wir antworten können: I.Q. ist cool.

Heiko: Was hast Du in New York gemacht? Was für eine Zeit war das?
I.Q.: Nun, ich bin im Viertel groß geworden. Der ganze Scheiß. Wie ihn jeder andere auch erlebt hat. Dann habe ich meine Homeboys um mich geschart, und wir haben angefangen, Geld zu machen. Wir wurden für das bezahlt, was wir taten. Wir gründeten ein Plattenlabel, "Northside Records", das noch immer existiert, einige Co-Produzenten unterhält und Geld aus Kooperationen bezieht. Wir entschieden uns dann, unsere eigene Musik zu veröffentlichen. Wir trafen DJ Red Alert, der dann unsere Musik spielte. Er spielte die erste Poor Righteous Teachers und sowas. Wenn es funky war, spielte er es. Wir waren erfolgreich - ohne Videoclip. Dann begann das Geld zu fließen. Ich hatte mein Geld, weißt du, und Platten zu machen ist ein legales Geschäft. Ich hatte meinen Rechtsanwalt, meinen Geschäftsführer und all das. Plötzlich wurde alles politisch. Das Pro-Black-Movement begann eine wirkliche Kraft darzustellen, weißt du. Aber ich war nicht pro-black.
Ina: Tun die 5%er viel für die schwarze Bevölkerung?
I.Q.: Es ist eine völlig schwarze Angelegenheit. Wenn du auf der Straße abhängst, nichts mit dir anzufangen weißt, kommen die vorbei und sprechen dich an. Die sagen dir dann: Reiß dich zusammen, du bist ein Schwarzer! Ein Schwarzer! Das hämmern die dir solange in den Kopf, bis du keinen Weißen mehr sehen willst und dein eigenes Geschäft aufziehst.
Ina: Du bist nicht im Pro-Black-Movement?
I.Q.: Nein, ich bin zwar pro-black in bezug auf mein eigenes Geschäft, das, was ich zu tun habe, aber ich bin nicht pro-black im organisierten Sinne. Ich bin kein Rassist.
Heiko: Was passierte?
I.Q.: Was passierte war, daß ich bis zur Spitze vorstieß. Ich war wirklich heiß, ein heißer Geschäftsmann. I.Q., das war ein Begriff. I.Q., der Macher von Poor Righteous Teachers, der Macher von Northside Records. Ich fuhr mit meinen Homeboys herum, hatte meine eigene Posse und all das. Ich schaffte es. Aber die Leute wurden eifersüchtig, stichelten herum. Wir wurden zu mächtig, wir stellten eine wirkliche Macht auf der Straße dar. Der anderen Seite gefiel das gar nicht, so daß sie versuchten, uns wieder klein zu machen. Ob das schwarze Politik ist, weiß ich nicht. Es ist die Situation dort: sich gegenseitig bekämpfende Straßenbanden und all das. Da geht es um street power.
Aber der Punkt ist der: Als ich mit meiner Posse in einem anderen Stadtteil war (und meine Posse war wirklich groß: ich hatte Autos, Häuser, Mädchen etc.) kam so ein Typ auf uns zu. Ich hatte eine Freundin aus Deutschland dabei (sie chillte mit den anderen Mädchen herum), und der Typ war von einer anderen Posse. Niemals zuvor hatte ich ein Problem, aber diesmal kam's wirklich hart. Es gab eine echte Konfrontation. Der Typ versuchte, mich herauszufordern. Er provozierte mich. Aber - ich ging nicht darauf ein. Ich packte meine Sachen. Die Poor Righteous Teachers wollten von Northside zu Profile wechseln (es gab eine Diskussion darüber: sie wollten Geld, aber ich hatte Geld). Aber ich wollte weg, ich hielt das nicht mehr aus.
Ina: Ein Weißer kann unmöglich im Schwarzenviertel leben?
I.Q.: Nein, das ist nicht wahr. Das Problem ist: überall gibt es Radikale, überall gibt es aber auch gute Leute. Das Problem in meinem Fall war, daß ich ein großer Kopf war, und sie waren pro-black, weißt Du. So eine Konfrontation ist kein normales Gespräch. Das geht dann: Ah, da kommt I.Q., der bill god. How ya see today? Cipher knowledge? Weißt Du, da gibt's all diese Zeichen, die eine Rolle spielen.
Ina: Ich habe mir die Platte von Sister Souljah gekauft, weil sie in der letzten Zeit viel Publicity hatte; ich respektiere sie nicht, denn in meinen Ohren versteht sie nichts von Sound. Vielleicht ist das zu hart...
I.Q.: Sieh mal, sie spricht von einem schwarzen Standpunkt aus. Ich habe Sister Souljah auf CNN gesehen. Es war eine politische Diskussion, in der es auch um Jesse Jackson ging. Er soll die Schwarzen repräsentieren, aber seit den Los Angeles Riots versucht man ihn zu verurteilen. Er war total cool als man ihn für die Rap Music Organization verantwortlich machen wollte. Er sagte: einen Moment mal, wir wollten hier über Politik reden, nicht über Rap Musik; wenn ihr über Rap Musik reden wollt, sprecht mit Sister Souljah. Dann wurde er gefragt, ob Sister Souljah eine Rassistin wäre. Einen Moment mal, sagte Jesse Jackson. Aber aus einer anderen Ecke des Raumes schrie ein Mann (es war ein richtiges Kreuzfeuer in dieser Show): ja, ich glaube, daß Sister Souljah eine Rassistin ist. Ja, sie ist eine Rassistin! Und dann antwortete Jesse Jackson: Ich glaube nicht, daß Sister Souljah eine Rassistin ist. Siehst Du, und dann ging diese Art von Diskussion noch ein Stück weiter. Und sie versuchten, Jesse Jackson für alles mögliche verantwortlich zu machen. Aber er war cool. Er sagte nur: Einen Moment mal.
Warum versuchen sie dieses headgame, nach all den Ereignissen von Los Angeles, nach all den Sachen, die von Rappern seit Jahren zu Drogen und Gewalt und Verbrechen gesagt wurden? Ice Cube sagte schon, es kommt ein Burn Hollywood Burn - lange bevor diese Scheiße hochkam, lange vorher sagte er schon: das ist eine Zeitbombe. Jeder sagte das, jeder sah das, und niemand reagierte. Was passierte? Das ganze amerikanische System implodierte, das Erziehungssystem implodierte. Die jungen Schwarzen wollen etwas über sich selbst lernen, sie wollen nichts von George Washington hören. Sie wollen über wirkliche Kultur sprechen, über wirkliche Geschichte.
Weißt Du, sie argumentieren so: Wenn du in einem Stadtgebiet lebst, solltest du auch eine Erziehung haben. Du sollst lesen und schreiben können. O.K. Aber wenn du dann in die Schule gehst, kriegst du nichts, womit du lesen und schreiben lernen könntest. Sie geben den Kids nicht einmal Bücher, jedenfalls keine neuen. Was machst du dann? Du rennst rüber zur katholischen Schule (die haben Bücher) oder du rennst zu den hübschen Schulen draußen auf dem Land.
Ina: Ah katholische Schulen. Warst Du auch mal katholisch?
I.Q.: Nein. Jedenfalls war es eine völlig verfahrene Situation, in die du getrieben wurdest, wenn du lesen und schreiben lernen wolltest. Das ganze Erziehungssystem ist in Amerika völlig unterentwickelt. Erziehung heißt für mich: bringing culture, religion, science and mathematics together. Aber in Amerika, weißt Du, haben sie die Sklaven "befreit", nur um alles beim alten zu lassen. Sie sagen: die Menschen sind gleich, aber nur um diejenigen zu deklassieren, die nicht gleich sind. Die nicht die gleiche Kultur haben, die nicht weiß sind.
Die Weißen haben ihre Herrschaft auf dem Mord an den Indianern errichtet. Aber die Schwarzen bleiben stark. Egal was uns angetan wurde. Die Weißen haben nie gesagt: O.K., wir haben Unrecht getan, wir werden die Gesellschaft wieder neu erschaffen. Gut, laßt uns euren Kindern etwas über unsere Geschichte beizubringen, dann werden wir versuchen, unseren Kindern etwas über eure Geschichte beizubringen - Geschichte, Kultur, Hintergründe zur Vergangenheit. Gut, dann wird es für jedes Individuum eine bestimmte Zusammenstellung von Lehrinhalten geben. Aber nein! In den Vereinigten Staaten gibt es nur eine gerade Linie, die von der tiefsten Vergangenheit bis zur Gegenwart reicht: das Erziehungssystem von Weißen für Weiße.
Ina: Ja, das war auch das, was mir an Sister Souljah gefallen hat: daß sie mit dem Satz, Schwarze sollten lieber Weiße als Schwarze abknallen, die Leute wachrüttelt und es politisch macht.
I.Q.: Das ist der Grund, warum ich auf der neuen LP einige Songs über die Polizei habe. Aber ich bin nicht die ganze Zeit so politisch drauf.
Ina: Das gefällt mir. Du hast z.B. Consolidated gesamplet, die mir nicht gefallen, weil sie unglaubwürdig und oberflächlich sind, nur Texte bringen wie: wir sind gegen Fleischesser, Faschisten, Schwulenfeinde, Ungleichheit der Frau und Kapitalismus.
Die Haltung muß in dein wirkliches Leben einfließen. Du kannst nicht den Tag über stinknormal verbringen und den Leuten dann politische Parolen der unterschiedlichsten Art um die Ohren knallen.
I.Q.: Darum mache ich dieses Zeug auch nicht ununterbrochen. Ich bemühe mich jedenfalls, auf den Punkt zu kommen. Ich erzähle was los ist.
Ina: Ich mag die Art und Weise, in der z.B. in "Keep The Frequency Clear" über Radiostationen gesprochen wird. Von Deinem Standpunkt aus, nicht so dogmatisch.
Wie kommt es, daß Du hier so schnell in die Musikszene reingekommen bist. Du arbeitest mit Bands zusammen, die eine totale Punkkultur haben...
I.Q.: Punk hier, Hip Hop dort - beides ist im Underground.
Heiko: Hip Hop ist noch immer Underground?
I.Q.: Hip Hop ist Major- und Undergroundmusik. Das gilt sogar für Hardcore. Die Leute des Undergound wollen sagen, was sie wollen. Hip Hop Hardcore ist der schwarze Underground. Was immer es ist - Trash, Rock, Punk, Hip Hop - es sind die Underdogs des Musikbusiness. Die Leute kämpfen in den unteren Schächten der gigantischen Musikindustrie.
Ina: Du willst jetzt auch mit der deutschen Hip Hop Szene zusammenarbeiten?
I.Q.: Ja, aber sie müssen gut sein. Und sie müssen auf deutsch rappen, Mann. Ich will von niemanden verlangen, daß er englisch sprechen soll, wenn es nicht seine Muttersprache ist. Die Franzosen können das auch. Warum sollten die Deutschen das nicht können? Die Aufnahme, die ich mit den Goldenen Zitronen gemacht habe, lief auch deutsch. Und ich will die Situation der deutschen Hip Hoper nicht in englisch, weil es keine englische Situation ist. Der Grund, weshalb ich englisch rappe, wenn ich über deutsche Zustände spreche, ist der, daß ich meine Erfahrungen als ein Amerikaner mache, der englisch spricht.
Ina: Viele deutsche Kids haben eine internationale Erziehung. Sie kaufen Platten, tragen ausländische Kleidung etc.
I.Q.: Ich weiß nicht. Wenn sie sich in englisch ausdrücken können, ist es in Ordnung. Aber ich werde deutschen Rap produzieren. Du mußt ein Gefühl von der Sprache haben, du mußt den Straßenslang kennen.
Ina: Viele deutsche Hip Hop Bands kommen aus dem Süden. Da gibt es immerhin einen Dialekt, der sich zum Rap anbietet. Auf Hochdeutsch ist das schon schwierig.
Du hast ein Foto für das Albumcover vor Schloß Neuschwanstein aufgenommen. Was war der Grund? Ist Schloß Neuschwanstein für die Amerikaner das Symbol für deutsche Kultur?
I.Q.: Ich war in München, als der Umweltgipfel stattfand. Meine Leute sagten sofort: Wir hoffen, Du wirst verhaftet. (Dann kann man einen Wirbel in den Zeitungen veranstalten.) Aber ich sagte: Nein, nein, danke schön. Warum habe ich mich bei Schloß Neuschwanstein aufnehmen lassen? Ich wollte kein typisches Rap-Bild haben, weißt Du. Keine Autos, keine Mädchen etc. Auch keine Straßenaufnahme, weil es hier diese Straßenszene noch gar nicht richtig gibt. Tatsächlich ist das Bild nicht direkt fürs Cover, sondern eine Promotionaufnahme, die ich als Innencover benutzen will. Ich sitze da in so einem prächtigen europäischen Sessel. Ich will nicht die europäische Kultur zeigen, stattdessen benutze ich die Zeichen der europäischen Kultur, um zu zeigen, wo ich mich aufhalte. Wenn ich sterbe und die Leute sehen dieses Foto, soll man sagen können: Ah, so war es also, als I.Q. in Deutschland war. Das Frontcover meiner LP ist schlicht. Ein Farbfoto von mir, auf dem ich straßenmäßig aussehe.
Ina: Die deutschen Hip Hop Kids bemühen sich, genau diesen amerikanischen Look zu imitieren.
I.Q.: Warum sollte ich ein schnelles Foto machen, wenn das Land nicht schnell ist?
Ina: Du hattest einmal gesagt, die deutschen Hip Hop Kids würden genau verstehen, worum es im Hip Hop geht - sie wären genau wir die amerikanischen Kids.
I.Q.: In Deutschland werden die Kids mit Hip Hop versorgt. Die Plattenindustrie überschüttet sie mit dem Zeug. Und die Kids springen genau darauf an. Sie fallen in eine Art Trance. Sie wollen wissen, was für Menschen das sind, die diese Platten gemacht haben, sie wollen werden wie sie. Sie denken, das wären die Superhelden.
Heiko: Auch in Amerika gibt es diese Kids, die verrückt werden, wenn sie ein Foto von Ice Cube sehen.
I.Q.: Ja, deshalb bemühen sich einige Rapper jetzt um Knowledge. In Amerika haben die Texte auch noch eine andere Bedeutung. Hip Hop Texte sind politische Texte. Das konnte jeder hören, und die ganze Nation war schockiert. Die Hip Hop Musiker erziehen sich gegenseitig. Ein Rapper erzieht Millionen von Kids. Und die Kids sind bereitwillige Schüler, weil sie die Musik ununterbrochen hören.
In den Vereinigten Staaten gibt es mittlerweile dermaßen viele Gruppen, daß es an der Zeit ist, ein neues Land auszuprobieren. Ich habe mit KRS-One darüber gesprochen, als er kürzlich hier war. Wir müssen unseren Kopf einsetzen, nicht nur: Motherfuck you and you etc. Ich sage das zwar auch manchmal, aber wenn ich das sage, meine ich das auch. Ich rappe über das, was mein Leben durchquert. Und wenn ich verletze, dann nur weil ich den Schmerz selbst spüre.