Lennert Niemeyer

Totalverweigerung (ein Weg)

Totalverweigerung, ein Begriff der in den Medien totgeschwiegen wird und dadurch ein gewisses Unwissen und Unsicherheit erzeugt. Deswegen versuche ich hier die politische Aktion der "totalen Kriegsdienstverweigerung" anhand meines Falles darzustellen. Mein Name ist Lennert, ich bin 23, von Beruf Tontechniker und ansonsten Musiker (Pink Trauma). Ich habe den Wehrdienst und den Zivildienst verweigert. Mein Hauptgrund dafür ist der Versuch eines selbstbestimmten Lebens, ich kann und will nur in eigener Verantwortung leben. Die Ableistung eines Zwangsdienstes ist demzufolge ein unzumutbarer Widerspruch, noch dazu wenn er Zielen dient, die ich ablehne. In gewisser Weise ist Totalverweigerung auch ein Teil des "zivilen Ungehorsams" (H.B. Thoreau - "Civil Disobedience"), einer Art politischer Aktion, dessen Inhalt allgemein gesagt das "Nichtbefolgen von Anweisungen und Befehlen und der Nichtanerkennung von Authoritäten" ist. Ziviler Ungehorsam ist passiv und gewaltfrei; Ziel dessen ist es, eine Gesellschaft dadurch zu ändern, indem man ihr die Unterstützung entzieht bzw. negative Elemente sabotiert (Gorleben ist ein Beispiel dafür). Mein Ideal ist ein humanistischer Anarchismus, der auf Menschenrechten und Menschenwürde basiert. Dieses Ideal ist sehr hoch und emotional liegt wohl darauf meine Priorität. Weniger theoretisch ist allerdings, daß Zivildienst dem Wesen nach denselben Zwecken und Zielen dient wie der direkte Wehrdienst in den Streitkräften. Da der Zivildienst einen wichtigen Faktor innerhalb der sogenannten " zivilen Verteidigung" darstellt, ist Zivildienst auch direkt Kriegsdienst. Obwohl Zivildienstleistende nicht dem direkten Kommando der Streitkräfte unterstellt sein dürfen, sind sie doch im Planspiel der "zivilen Verteidigung" zur direkten Kooperation und Unterstützung derer verpflichtet. Ein Zitat von Dr. Steinwender, Familienministerium, dort Leiter der Zivildienstabteilung, verdeutlicht dies: "Das Zivildienstgesetz schränkt die Regierung bei der Auswahl der Einsatzgebiete kaum ein. (...) Der Zivildienst ist daher nicht nur nach dem Gesetz, sondern seinem Wesen nach Erfüllung der Wehrpflicht."

Passend dazu sagte Heiner Geißler, " Das kann im Verteidigungsfall bedeuten, daß der Zivildienstleistende im Luftschutz oder Feuerlöschdienst und beim Blindgängerentschärfen eingesetzt würde." Die Kriegsdienstverweigerung nach deutschem Gesetz befreit lediglich vom Dienst an der Waffe. Schon heute müssen Zivildienstleistende an Seminaren teilnehmen, die sie auf ihre Aufgaben im "Ernstfall", zum Beispiel Verteilung von Psychopharmaka an die Bevölkerung, vorbereiten. Die zivile Verteidigung umfaßt die Planung, Vorbereitung und Durchführung aller ziviler Maßnahmen, die zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung erforderlich sind. Dazu gehört es,
1. die Staats- und Regierungsfunktion aufrechtzuerhalten;
2. die der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall drohenden Auswirkungen von Feindseligkeiten zu beseitigen oder zu mildern und die für das Überleben der Zivilbevölkerung notwendigen Voraussetzungen zu schaffen (Zivilschutz);
3. die Zivilbevölkerung und die Streitkräfte (!) mit den notwendigen Gütern und Leistungen zu versorgen;
4. die Streitkräfte bei der Herstellung und Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit und Operationsfreiheit zu unterstützen. (Aus den Richtlinien für die Gesamtverteidigung)
Nur wenn genügend ziviles "Potential" vorhanden ist, welches das alles sicherstellt, wird es möglich, einen Krieg gründlich vorzubereiten. Teile dessen wurden ja zum Beispiel im Golfkrieg umgesetzt: Bereiche ziviler Krankenhäuser wurden geräumt, damit dort verwundete Soldaten untergebracht werden konnten. Dies unter Anderem ermöglichte diesen Krieg. Als Zivildienstleistender wird man genauso Teil dieser Planung wie die Armee. Auch wird man als Zivildienstleistender genauso entmündigt:
- Man ist gezwungen, "Anordnungen" (Befehle) zu befolgen. Bei Zuwiderhandlung oder Verweigerung wird man strafbar. Es besteht kein Mitspracherecht geschweige denn Entscheidungsfreiheit. Lediglich beschweren darf man sich - im nachhinein.
- Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit und der Unversehrtheit der Wohnung sowie das Petitionsrecht werden eingeschränkt bzw. aufgehoben (§ 80 ZDG)
- Der Zivildienstleistende muß die mit dem Dienst verbundenen Gefahren auf sich nehmen, insbesondere wenn es zur Rettung anderer aus Lebensgefahr oder zur Abwendung von Schäden, die der Allgemeinheit drohen, erforderlich ist. (§ 27 III ZDG)
- Man darf sich nicht politisch betätigen (§ 29 I & II ZDG)
- Bei Verpflegung durch die Dienststelle hat man kein Recht auf vegetarische Ernährung.

Selbstverständlich würde ich versuchen, Menschen aus akuter Lebensgefahr zu retten, einen Zwang dazu finde ich jedoch absurd. Ich kann es nicht verantworten, mich in solche Planspiele miteinbinden zu lassen.
Kein Mensch und kein Gesetzestext kann mich von der Verantwortung für mein Handeln befreien. Deswegen kommt eine Unterordnung unter solche Gesetze nicht in Frage. Das erklärt auch, warum die Stelle, wo ich meinen Dienst abzuleisten gehabt hätte, unrelevant ist. Ein weiterer Aspekt für meine Entscheidung gegen den Zivildienst ist, daß Zivildienst unsozial ist. Zum einen werden Zivildienstleistende eingesetzt, um den Pflegenotstand zu kaschieren. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Zivildienstleistende als volle Arbeitskraft miteingeplant werden, obwohl sie nur ungenügend ausgebildet werden. Es ist kaum möglich, daß man in einer kurzen Anlernzeit die Kompetenz einer voll ausgebildeten Fachkraft erwirbt, dennoch wird man mit denselben Aufgaben betraut. Zum einen sinkt dadurch das Pflegeniveau, zum anderen besetzt man einen Job, den eine arbeitslose Fachkraft gut gebrauchen könnte. Es ist doch auch marktwirtschaftlich logisch, daß eher ein, vermeintlich billiger, Zivildienstleistender eingestellt wird, denn eine tariflich bezahlte Kraft. Dazu hat ein Zivildienstleistender nicht einmal Streikrecht. Bei zunehmender Privatisierung des Pflegesystems wird dieser Aspekt noch an Gewicht gewinnen.

Meine Entscheidung zur TKDV war schon vor dem Erfassungsschreiben gefallen, da ich mich schon einige Jahre vorher mit politischen Zusammenhängen befaßt habe. Dies ermöglichte mir schon am Anfang mit einer gewissen Konsequenz zu handeln. Der Weg, in diesem Falle meiner, beginnt wie üblich also mit der Erfassung. Das ist ein Schreiben, in dem man dazu aufgefordert wird, zu bestätigen, daß man existent ist, wenn möglich nicht behindert, d.h. für staatliche Zwecke gebraucht werden kann. Dieses Schreiben sollte am besten gleich in den nächsten Papiermüll wandern, da es sich nicht um ein Einschreiben handelt. Rechtliche Konsequenzen durch Nichtabgeben der Erfassung sind also nicht möglich, trotz der Androhung von tausend Jahren Gefängnis oder so, denn dieser Brief ist nie angekommen. So geschah es dann auch, doch da ich in einem ganz reizend beschaulichen Ort wohne, kannte man mich, und die Verwaltungsbeamte der Gemeinde (der Schergen dieser Macht) stellte meinem Vater morgens beim Brötchenholen nach. Durch das Leid meines Väterchens sah ich mich dann doch gezwungen, meine Daten so einigermaßen zu Papier zu bringen. Änderte auch nicht soviel, da man auch als Nichtexistenz in den meisten Fällen dann doch zur Musterung herangezogen wird. Doch auch die Aufforderung, zur Musterung zu kommen, ist vorerst eher so dahingestellt. So bekam ich dann erstmal zwei Aufforderungen zu erscheinen. Danach fing man erst an, mich mit Einschreiben und einem Bußgeldbescheid zu penetrieren. In dieser Zeit fing eine leidenschaftliche Brieffreundschaft zwischen mir und dem Kreiswehrersatzamt über das Für und Wider von Musterung und Wehrdienst im Allgemeinen an. Der Erfolg ließ trotzdem auf sich warten, also entschied man sich nach dem dritten geplatzten Termin, mich von der Polizei vorführen zu lassen. So eine "polizeiliche Vorführung" ist es dann auch gewesen. Der Pauschalpreis von 50,00 DM ist auf eine 60 km Distanz immer noch günstiger als ein Taxi, und das Späßchen, mit einem Peterswagen falsch herum in eine Einbahnstraße zu fahren war's schon wert. Doch da war ich nun, zum Glück ohne andere Leute, im Kreiswehrersatzamt Celle. Da ich mich nicht mustern lassen wollte, betrachtete man meinen äußeren Schein und befand mich für total-gut, bedeutet T1. So konnte ich mir dieses Zeugnis beim Musterungsausschuß (was für Wortspiele da möglich wären...), einer handvoll stolzer Arier abholen und mich noch unentgeltlich über die rechtlichen Konsequenzen meines Handelns aufklären lassen. Dann durfte ich wieder gehen, mein Freund und Helfer hatte leider nicht auf mich gewartet.

Jetzt war der Spaß an der Sache so langsam vorbei. Ich stand nun unter "Wehrüberwachung" und war theoretisch "verfügbar". Ich nahm mir nun einen Anwalt und entschied mich erstmal, den Kriegsdienst mir der Waffe zu verweigern. Zum einen, weil Feldjäger nicht immer sehr höflich sind und Bundeswehrknäste eine Romantik haben, die es sich nicht zu erleben lohnt. Zum anderen verbleibe ich dann unter Zivilgesetz, wo die Urteile im Allgemeinen weniger hart sind. Also kein falsches Heldentum sondern Realismus, selbst wenn "Dienstflucht" nicht ganz so verwegen klingt wie "Fahnenflucht". Ich versuchte nun Zeit zu gewinnen und legte alles erst zum Einsendeschluß vor. Komischerweise wurde ich sofort als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, hatte ich doch bereits dem KWEA damals mitgeteilt, daß ich nicht gewillt bin, Zwangsdienste jeglicher Art abzuleisten, dazu gehören der Wehrdienst, Zivildienst oder Dienst im Sinne des Notstandsgesetzes. Danach passierte eine Weile lang nichts. Dann folgte die "Ankündigung der Heranziehung zum Zuvieldienst". Meine Widersprüche und mein Zurückstellungsantrag (eine Möglichkeit rechtliche Mittel für sich zu nutzen) fanden keine Gnade. Eher hatte ich schon das Gefühl, daß es dem Bundesamt für Zivildienst ziemlich wichtig war, gerade mich einzuziehen. So verging kaum Zeit, und mir wurde eine Dienststelle verpaßt, mit Gratiskurs für einen "Einführungsdienst". Ich informierte sofort "meine" Dienststelle darüber, daß sie nicht mit mir zu rechnen brauchten, was ihnen die Möglichkeit ließ, ihren Dienstplan umzustellen. Das haben sie wohl nicht getan und mich kurz nach meinem Nichterscheinungstermin beim BAZ angeschwärzt. Die leiteten nach überhörten mahnenden Worten ein Verfahren wegen Dienstflucht gegen mich ein.

Die Mühle der Justiz mahlte nicht sehr zügig, so verging fast ein Jahr bis mein Strafprozeß vor dem Amtsgericht eröffnet wurde. Das ganze Spektakel dauerte nicht lange (40 min etwa) und ich hatte von Anfang an keine richtige Chance. Ich versuchte so gut wie möglich meine Gründe für diese "Straftat" darzulegen. Rethorisch war ich leider nicht sehr gewandt, da ich aufgrund der äußerst negativen Situation ziemlich unsicher war. Der Richter, ca. 60, zurückgekämmte graue Brilliantine-Haare, hörte mir aber sowieso nicht richtig zu. Er starrte die ganze Zeit auf seine Uhr und schien in Gedanken mehr bei seiner nächsten Kaffeepause zu sein. Der Staatsanwalt, jung und eisern, schmetterte Phrasen über die Verabscheuungswürdigkeit meiner Tat. Der Urkundenbeamte schrieb nicht einmal mit. Das Urteil stand also fest, ich bekam eine "fühlbare" Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung. Grundlage dafür war, daß ich mich "drücken" wolle und ich "arbeitsscheu" und "staatsfeindlich" sei. Letzteres mag sogar stimmen, doch ist diese Gesinnung alleine bereits strafbar? Mein Anwalt legte daraufhin Berufung ein.

Die zweite Instanz folgte drei Monate darauf vor dem Landgericht Lüneburg. Wir waren besser vorbereitet, ich war sicherer und hatte einen Mob an solidarischen Menschen dabei. Auch dauerte diese Verhandlung sehr viel länger und ich hatte ein besseres Gefühl. Diesmal war der Staatsanwalt alt und konservativ und wurde sogar hysterisch und laut. Seine Argumente waren schlecht und selbst die Schöffen mußten manchmal über ihn grinsen. Doch zu früh gefreut, meine Stellung schien sich auch hier nicht allzu großer Beliebtheit zu erfreuen. Die Berufung wurde fallengelassen und somit das Urteil des Amtsgerichts bestätigt. Einziger Unterschied war, daß man mir diesmal einen Gewissensentscheid zugestand. Die Beurteilung meiner Person fiel jedoch nicht minder kurios aus, so war meine "Persönlichkeit nicht besonders stabil" und ich würde aufgrund meiner "fehlenden sozialen Einbindung weitere Straftaten begehen".

Meine Chance, relativ unbehelligt aus der ganzen Sache herauszukommen, ist dadurch beträchtlich gesunken. Meine nun letzte Möglichkeit auf eine Urteilsänderung ist die beantragte Revision, die noch aussteht. Das Revisionsgericht allerdings ist eine rein schriftliche Instanz, die sich ausschließlich mit Verfahrensfehlern befaßt, also habe ich keinen Einfluß mehr und erwarte irgendwann zwischen morgen und in acht Wochen das Urteil. Emotional befasse ich mich deswegen natürlich recht intensiv mit dem Gedanken in den Knast zu kommen. Ein etwas makaberer Trost ist, daß meine Strafe im sogenannten "halboffenen Vollzug" abzusitzen wäre und ich wenigstens eine Gitarre mitnehmen könnte, um weitere staatsfeindliche Lieder zu komponieren.

Trotz allem, meine Entscheidung ist richtig. Ob es für jeden angebracht ist diesen Weg zu gehen, kann ich nicht entscheiden. Tatsache ist: je mehr Totalverweigerer es gibt, desto schwieriger ist die Verfolgung jedes einzelnen bzw. das Strafmaß würde wahrscheinlich geringer ausfallen. Und den ersten Teil des Weges zu gehen ist noch locker (Musterungsverweigerung...) und keine "Straftat" sondern lediglich eine "Ordnungswidrigkeit".

Der im Moment diskutierte mögliche Wegfall der Wehrpflicht wird zur Folge haben, daß ein allgemeiner Pflichtdienst, auch für Frauen, eingeführt wird. Die Gesetzesentwürfe sind da und die Möglichkeit, direkten Zugriff auf die Menschen zu haben wird sich die Bundesrepublik zum einen nicht nehmen lassen, und zum anderen würde ohne die Zivis ja auch das derzeitige "Pflegesystem" zusammenbrechen. Das heißt, so absurd es auch sein mag, für die Funktion der BRD sind die Zivis wichtiger als die Armee. Auch im Hinblick darauf ist es sinnvoll, einzugreifen und wenn nötig zu sabotieren.

Noch ein Punkt in eigener Sache. Da die Prozeß- und Anwaltskosten meine finanziellen Mittel weit übersteigen bin ich auf Spenden angewiesen. Bisher haben die Rote Hilfe und eine Berliner Besetzerkneipe einen großen Teil übernommen. Hierfür noch einmal meinen Dank. Falls sich ansonsten jemand solidarisch fühlt, schreibe ich hier noch meine Kontonummer auf. Auch kann man mit mir Kontakt aufnehmen, Adresse über die Redaktion. Lennert Niemeyer,
Kto. 555276, BLZ 25851660,
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