Erik Schmidt

Freitag
Pilli ist jung, hat glatte, rosafarbene Haut, die von einer violetten Kontur umgeben ist. Sie ist sehr mager, oft appetitlos, aber ihre silicongefüllten Brüste sitzen prall und rund an ihrem Körper. Immersteife Nippel kleben wie Schnuller auf ihnen. Ihre Hüften sind schmal aber nicht knochig, und ihre Beine länger als ihr Oberkörper. Pilli ist nie ganz zufrieden mit ihrem Körper, auch wenn sie weiß, daß sie gut aussieht. Ihr Kopf, der auf auf ihrem langen, schmalen Hals sitzt, ist rund und eine Handbreit dick. Ihre Haut straff ohne eine Falte, ihr Gesicht besteht nur aus einer Falte, die sich über ihren Kopf zieht. Pilli redet nicht gerne, sie geht gerne einkaufen und schläft viel. Sie ist eigentlich ständig müde und träge, dann versteckt sie sich zuhause im Bett oder vorm Fernseher.
Pillis Lieblingsbeschäftigung ist Ausgehen, sie geht gerne auf Partys und in Diskos. Lieber in Diskos, denn dort muß man nicht soviel reden. Pilli lebt richtig auf, wenn sie zurechtgemacht, sich gut fühlend am Abend losgeht. Pilli kennt Abends viele Leute, zahlt nie Eintritt, und bekommt auch ihre Drinks umsonst.
Mittags, sie wacht auf, ihr Mund ist trocken. Sie schaut auf die Uhr und greift die Fernbedienung. Das Fernsehen nervt sie, sie kann nichts aufnehmen. Pilli setzt sich auf. Sie fühlt, daß sie noch breit ist. Sie ist noch geil von den Extacies und dem Koks. Sie faßt sich an ihre steifen Nippel, knetet und zieht an ihnen. Der Geschmack in ihrem Mund wird jetzt unerträglich. Sie steht auf und geht in die Küche. Außer kaltem, schwarzem Tee vom Vortag ist nichts im Hause. Sie geht aufs Klo, pißt und trinkt etwas Leitungswasser. Ihr Gesicht im Spiegel. Sie überlegt einen Moment, dann entscheidet sie sich, in den nächsten Supermarkt zu gehen und etwas einzukaufen.
Ihr Zahnfleisch blutet als sie sich die Zähne putzt. Sie zieht den schwarzen Pulli und den Nadelstreifenanzug an, Farben sind ihr jetzt zuwider, sie möchte nicht auffallen. Der Schlüssel, das Geld. Am nächsten ist der Aldi, sie haßt den Aldi, die Leute sind ihr zu dreckig. Diese armen, gierigen Leute, die sich den Billigscheiß reintun. Pilli möchte nicht dazugehören. Jetzt aber, da sie höchst ungern draußen ist, ist er die einfachste Möglichkeit, an ein paar Flaschen Saft und Wasser zu kommen.
Schnell rein in den Laden, einen Wagen braucht sie nicht. Sie greift zwei Flaschen Wasser, Joughurt könnte sie noch mitnehmen, ein paar Vitamintabletten, Müsliriegel und einen Liter Milch. Pilli quetscht sich alles in ihre Arme. Die Milchtüte drückt in ihre Brust, aber der Schmerz ist angenehm, und der Joghurt wird gerade noch von zwei Fingern gehalten. An der Kasse eine lange Schlange, Pilli ist angenervt. Vor ihr steht ein kleiner Junge, der viel zu große Sachen an hat. Bestimmt ein Ausländerkind. Es ist total zappelig und hat eine Tüte Chips in der Hand, die es mit seinen Händen laut knisternd drückt und zieht. Außerdem trippelt es mit seinen großen Schuhen ständig auf der Stelle. Pilli wird jetzt auch nervös, es geht kaum voran. Sie starrt auf ihren Einkauf, er wird immer schwerer, die Tüte Milch schmerzt in ihrer Brust, sie kann den Joghurt kaum noch halten. Pilli fängt an zu denken. Scheiße. Scheiß Kind, scheiß Aldi, wäre ich schon am Band und könnte meine Sachen ablegen, ich will hier raus, ich will hier raus. Ihr Herz fängt an zu rasen, da berührt sie etwas am Rücken. Sie erschrickt völlig, zuckt zusammen, will sich umdrehen, da klatscht der Joghurt auf den Boden, spritzt gegen ihre Beine. Sie möchte versinken. Scheiße, scheiße, scheiße. Sie starrt in zwei wirre Augen. "Tut mir leid, wollt ich nicht," sagt eine Stimme. Pilli dreht sich wieder um. Sie will nicht mit dem Typen reden. Ein verträumter Schlaffi, solche Männer haßt sie. Im Moment haßt sie alle, sie haßt sich selber, die Schlange rückt weiter vor, der Joghurt bleibt liegen. Sie kann nichts machen, ihre Arme sind voll. Der Typ schiebt den Joghurtbecher unter den Zigarettenständer, eine rosaweiße Schleimspur bleibt zurück. Endlich; Pilli läßt ihre Sachen aufs Band fallen, holt tief Luft. Glück gehabt, daß nicht mehr passiert ist. Das Kind starrt sie an und der Typ redet mit ihr. Nicht umdrehen, alles ist zuviel, ich will allein sein. Ist das asozial hier. Eine Tüte bitte. Pilli holt ihr Portemonnaie aus der Tasche, zählt ihr Geld, fünfzehn achtzig bitte. Sie bezahlt und stopft die Sachen in die Tüte. Häßliche Kassiererin, wie häßlich sie ist, scheiß Typ, scheiß Typ. Jetzt grinst er sie an. Ihr steht der Schweiß auf der Stirn. Schnell geht sie zur Tür, sie ist am ganzem Körper schweißnaß. Schnell, schnell, schnell. Sie überholt das Kind, das die Chips frißt. Asozial, asozial, asozial.
Pilli schließt die Tür auf. Hoffentlich begegnet ihr kein Nachbar. Als die Wohnungstür hinter ihr zufällt, Erleichterung. Sie legt die Tüte auf den Küchentisch, trinkt etwas Wasser, die Flasche nimmt sie mit ins Schlafzimmer. Ihre Schuhe donnert sie in die Ecke, raus aus den Klamotten. Pilli macht das Licht aus und legt sich ins Bett. Sie zieht die Decke über den Kopf und fängt an zu zittern.

Samstag

Die Sonne fällt ins Zimmer, der Vorhang hat einen Spalt offengelassen. Pille wacht nach einem kurzem unruhigen Schlaf auf, er blickt in die Sonne, gequält kneift er die Augen wieder zusammen und versucht seinen Körper zu spüren. Kopfschmerzen? Nein, zum Glück nicht, nur ein leichtes Dröhnen in der Stirn. Die Glieder sind schwer, auf seiner Hüfte liegt eine warme Hand. Schweres Atmen ist in seinem Nacken zu spüren. Erinnern. Pille versucht sich sein Gesicht ins Gedächtnis zu holen. Gestern Abend ging alles sehr schnell. Sah er gut aus oder habe ich mich getäuscht? Hoffentlich wird es nicht unangenehm.
Die Hand zieht sich zurück, ein Brummen. Pille will sein Gesicht sehen. Er dreht sich um, doch Bernd, so war doch sein Name, liegt mit dem Rücken ihm abgewandt. Ein schöner, kräftiger, geschorener Nacken, den Rest verbirgt die Decke. Er wird nicht mehr schlafen können , der fremde Körper beunruhigt ihn. Plötzlich Angst, alles war ein Rausch. Pille setzt sich auf. Sein Blick fällt auf zwei schrumpelige, schmierige Kondome, die am Boden liegen. Gott sei Dank. Im Rest des Zimmers liegen Klamotten herum. Eine schöne Jacke hat er. Es ist zwölf, wann waren wir hier? Um sieben? Ob ich aufstehe, damit er aufwacht? Vielleicht geht er dann. Was soll das, vielleicht ist er ja ganz nett. Warum nicht Frühstücken. Oh ich will noch schlafen. Pille rutscht zurück unter die Decke. Er erinnert sich an Bernds Körper. Der Sex war gut, selten daß es gut ist. Pille bekommt einen Steifen, er will ihn berühren. Er dreht sich zu Bernd und faßt seine Hüften. Zieht seinen Körper an seinen. Seine Brust berührt seinen Rücken. Seine Beine umschlingen seine. Seine Lippen legen sich in seinen Nacken und sein Schwanz zwischen seine Arschbacken. Pille zuckt am ganzem Leib. Bernd brummt, er brummt so süß. Bernd nimmt Pilles Hand, zieht sie an seine Brust und hält sie fest. Er drückt seinen Unterkörper an Pilles und schläft dann starr und warm weiter.
So liegt Pille wach, gewärmt und gehalten, er fühlt sich gefangen. Er soll gehen, es soll was passieren. Zwölf Uhr dreißig. Bernd dreht sich zu Pille, faßt seinen Nacken, faßt an seinen Arsch und küßt ihn. Guten Morgen. Morgen. Stöhnen, Strecken. Er läßt ihn los, setzt sich auf und schaut zur Uhr. Scheiße, ich muß noch Einkaufen. Um zwei machen die Geschäfte zu. Ja, ja du willst wohl schnell abhauen. Quatsch, ich fand's gestern sehr geil. Bernd rutscht wieder runter zu Pille, nimmt sein Gesicht, ein tiefer langer Kuß. Sein Schwanz an seinem. Nein, stimmt wirklich, eine gute Freundin hat Geburtstag und ich brauche noch ein Geschenk. Ja, dann mußt du dich wohl beeilen. Aber wir können das noch einmal wiederholen. Ein Kuß. Er ist wirklich süß. Was er wohl denkt?
Bernd streift die Decke von sich, setzt sich auf den Bettrand und strubbelt sich durch die Haare. Sein Rücken und Haare, die aus dem Arsch zu wachsen scheinen. Ich will ihn noch einmal berühren, ich will ihn noch einmal berühren. Pille rutscht hinter ihn, umschlingt ihn und drückt ihn fest an sich. Noch einmal dreht sich sein Körper zu ihm, drückt sich auf ihn, hält seine Hand fest, küßt ihn, leckt seine Brustwarze, löst sich wieder und steht auf. Bernd sammelt seine Sachen ein. Er bückt sich, dabei sieht man seine Eier baumeln. Er zieht sich an. Pille beobachtet alles, Sehnsucht. Der ist bestimmt nicht allein, ich will, ich will nicht. So ich bin fertig, bringst du mich zur Tür? Pille steht auf und sie gehen zur Tür. Nackt steht er vor ihm, sein Schwanz halbsteif. Ciao Süßer, wir sehen uns. Ein feuchter Kuß. Tschüs. Pille versteckt sich hinter der Tür, winkt ihm nach. Nichteinmal eine Nummer, hätte ich doch gefragt. Na dann wollte er mich sowieso nicht wiedersehen. Pille geht in die Küche, trinkt etwas, geht ins Schlafzimmer, legt sich ins Bett. Es ist warm, es riecht gut. Die Erinnerungen steigen hoch und Pille fängt an zu wichsen.


nicht im Heft:

Sonntag

Pille verläßt das Haus, er hat seine neue Armyhose, seine Niketurnschuhe, ein silbernes Satinhemd und seine silberne Bomberjacke an. Gestern war er beim Friseur, er fühlt sich gut und freut sich auf die Party. Armin hat ihn eingeladen, er ist eine neue Bekanntschaft vom Wochenende, sehr attraktiv, sehr muskulös. Ein Freund oder eine Freundin mitnehmen, die würden hoffentlich nur stören. Sternstr., ein schönes Haus, die Haustür ist nur angelehnt, zweiter Stock ein schrilles Schellen. Ein fremder großer Mann öffnet ihm die Tür. Hallo. Der Mann lacht und schaut ihn an. Wo ist Armin? Der Mann wendet sich ab und geht.
Links schaut Pille in die Küche, die Leute sitzen und stehen herum und unterhalten sich angeregt, rechts im Eßzimmer, dort sitzen oder stehen die Leute herum und unterhalten sich angeregt, geradeaus vor ihm ein langer Flur, dort stehen die Leute herum und unterhalten sich angeregt. Man kennt sich. Pille kennt niemanden. Wo ist Armin? Armin ist zur Tanke, Vodka holen. Scheiße.
Er geht in die Küche, er will zum Kühlschrank, erstmal ein Bier. Die Augen sind auf ihn gerichtet. Hallo. Hallo. Hallo. Ein Lächeln oder war es doch keines. Ich muß Lächeln. Hallo Hey. Ein schöner alter Boschkühlschrank steht in der Ecke, auf ihm geöffnete Sektflaschen. Nein kein Sekt, lieber ein Bier. Pille öffnet den Kühlschrank, nimmt eine Flasche heraus und will die Tür zuwerfen. Da knallt es. Der Kühlschrank zittert, zwei Sektflaschen fallen hinter ihn, es klirrt. Er hätte den Griff anziehen müssen beim Schließen - zu spät. Hinter ihm Lachen, Stimmen, er dreht sich um, Blicke. Er versteht nicht, was die Leute sagen. Schnell hier raus auf den Flur. Ja, ja das kann passieren. Auf dem Flur steht der Mann und lacht ihn an. Nein das ist zuviel. Vielleicht kenne ich jemanden im Eßzimmer.
Das Eßzimmer ist durch eine große geöffnete Flügeltür mit dem Wohnzimmer verbunden, in ihm ein großer Tisch, Leute sitzen in kleinen Gruppen herum und unterhalten sich. Links in der Ecke ein Flipper, einige Jungen spielen. Pille will sich locker an die Heizung lehnen. Es knallt schon wieder. Nein, nein, nein. Die Augen, die Augen, die ihn anstarren. Pille versucht zu lächeln. Er schaut vor seine Füße, dort stand einmal ein Kerzenständer mit einer langen, dicken, weißen Kerze. Achtzig Mark. Sie ist durchgebrochen. Er bückt sich, stellt den Ständer wieder hin und legt die Kerze daneben. Kennst du den? Wer ist denn das? Schnell wieder auf den Flur. Dort steht der Mann und lächelt ihn an oder lacht er ihn aus. Ich muß pissen.
Am Ende des Flurs sind noch zwei Türen, eines muß die Toilettentür sein. Eine Frau steht vor einer Tür. Ist das die Toilette? Ja, aber ich bin zuerst dran. Ja, ja. Wer bist du denn? Ich bin Pille. Aha, na ja. Die Tür öffnet sich, die Frau verschwindet in der Toilette. Zeit vergeht. Pille schaut hinter sich auf den Flur. Wenn Armin endlich käme. Die Frau kommt heraus, Pille geht rein, schließt die Tür, öffnet seine Hose. Seine Unterhose klemmt seine Eier ein, er bekommt seinen Schwanz kaum heraus. Er pißt, ein Klopfen, ein Blick zur Tür, Scheiße er hat sich gegen das Bein gepinkelt. Jetzt aber. Pille steht vor dem Spiegel. Was soll ich tun? Ein großer Pißfleck auf dem Bein. Erstmal die Toilette trockenwischen. Er reibt anschließend mit dem Gästehandtuch an seiner Hose rum. Das bring's sowieso nicht. Föhnen? An der Tür klopft es. Wie lange dauert das denn noch? Die Jacke. Gott sei Dank habe ich noch nicht meine Jacke weggelegt. Er zieht seine Jacke aus und hält sie vors Bein. Schnell huscht Pille vorbei an dem großen Mann, hinein ins Wohnzimmer auf die Couch. Er schlägt die Beine übereinander. Da kommt Armin.
Hey Pille. Schön, daß du da bist, amüsierst du dich? Armin kniet vor ihm nieder und legt eine Hand auf sein Bein. Sein Herz schlägt. Na klar, ich schau mir so die Leute an. Armins Blick wird irgendwie komisch oder doch nicht. Kommst du mit ins Schlafzimmer einen kiffen. Später, ich bleib erstmal hier sitzen. Ich - ein Schmerz zuckt durch sein Gesicht, Pille hat sich vor Aufregung auf seine Backe gebissen. Sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Armin schaut ihn unverständlich an, schüttelt den Kopf. Na dann eben nicht, und verschwindet. Pille bleibt allein auf dem Sofa zurück.


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