Alexandra Filipp

Auszug aus: "Die Süßlichkeitsfabrik"

........Am häufigsten jedoch zeigten sich die Schreckensbilder aus einer zukünftigen Zeit des Tales. Sie wußte, daß die Sonne in Zukunft nie mehr scheinen würde, daß die Natur in einen Zustand fallen wird, der den jetzigen an Krankheit und Verdorbenheit weit übertreffen würde. Menschen, Pflanzen, Tiere werden bis zur Unkenntlichkeit deformiert, sie vermischen sich. Gesichter und Laute, die ihr völlig fremd waren und jeder Beschreibung spotteten, zogen durch ihre Gehirnwindungen, und immer wieder tauchte das riesige rosafarbene Gebäude auf, das süßliche grüne Schwaden ausspeit. Gewalttätige Szenen, an die sie sich nach dem Erwachen nur noch dunkel erinnern konnte, und die einen blutigen Geschmack auf den Lippen hinterließen. Ahnungen von abgrundtiefer menschlicher Bosheit, die nach vielen Jahren der Naturherrschaft diese mit unglaublicher Brutalität niederschlagen würde. Elende Löcher, in denen Menschen hausen und glitzernde Paläste, berstend erfüllt mit tobenden Ungeheuern. Runde, glatte, bunte, scharfe, wohlriechende, elastische, durchsichtige, schwere, federlichte Dinge, die sie nicht zu bezeichnen vermochte und deren Sinn ihr verborgen blieb. Sie sah breite Schneisen, mit brüllenden Kolossen durch die Wäler geschlagen und sich selbst auf einem kahlen Hügel stehend. In der Ferne eine glitzernde Wasserfläche, funkelnde Türme und Kuppeln. Fliegende Gegenstände, die auf jeden Fall keine Tiere waren, über allem schwebend. Überhaupt herrschte in ihren Träumen ein Lärm, eine Kakaphonie, eine Sturzflut von entsetzlichen Geräuschen, die nach dem Erwachen über Stunden in ihren Ohren tobten. Nach einer Gewöhnungszeit, begann sie die Träume als Lehrstoff zu sehen. Für Schell war während dieser Zeit auf der Insel immer klar, daß das, was sie dort zu sehen bekommen hat, geschehen würde, und sie müßte darauf vorbereitet sein.Durch diese gewaltsame Einführung in eine zukünftige Welt, nachdem sie wußte, was sie erwarten würde, betrachtete sie die fleischfressenden Pflanzen als eine kleine Schwierigkeit in ihrem langen, grausamen Leben und die Zeit wurde ihr im Träumen kurz.................
......der halbwüchsige Junge schließt vorsichtig die Tür der dreistöckigen Wohntonne. Das Rosa, in dem die Tonne gestrichen ist, leuchtet verhalten im klebrigen Mondlicht. Süßliche Wolken schwimmen um ihn herum. Im Schutze des tiefen Schattens, den die zum Teil sechsstöckigen, eine enge Gasse bildenden Wohntonnen werfen, drückt er sich an den Wänden entlang. Plötzlich bleibt er stehen. Nervös fährt er sich durch die blauen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hängen. Dann dreht er um und geht wieder in die Tonne zurück. Er betritt einen Raum, der bis zur Decke mit Regalen erfüllt ist, die vollgestellt sind mit Gläsern in allen Größen. Besonders schöne Gefäße sind leer, die einfachen weißen mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, in der die unterscheidlichsten Frösche schwimmen. In einer Ecke des kreisrunden Zimmers befand sich ein Schlaflager, halb unter Regalen begraben. Der Junge geht zum Tisch und legt den Deckel auf ein großes Glas, in dem es nur so wimmelt von halbentwickelten Froschlarven. Mit einem letzten Blick in die Runde schließt er die Tür und befindet sich wieder auf der Straße. Erneut läuft er los, um schließlich in einen Stall einzutreten, in dem Schokoladenkühe gehalten werden.
Dort wird er bereits von einem dünnen, blaßhäutigen, gelbbezopften Mädchen erwartet. Sie fällt ihm um den Hals. Er schüttelt sie ab. "Laß das! Du weißt doch, daß ich das nicht mag!" Er setzt sich auf einen Polyesterstrohhaufen. "Was willst Du?" - "Ich habe etwas mitgebracht, an das du bestimmt schon oft gedacht hast, das du aber nie bekommen konntest." - "...wenn du wüßtest, was das ist, würdest du auf der Stelle tot umfallen..." denkt er. Sie zieht eine Flasche hervor. Diese Flaschen kennt er nur in leerem Zustand aus dem Glascontainer, in dem er immer nach schönem Glas sucht. Diese konnte er nie brauchen. Von mattem Braun, in einer langweiligen Form konnten sie sein Interesse nie erwecken. Mit einem Knall öffnet sie die Flasche. Er riecht einen süßlichen Geruch, der ihn an das Erbrochene seines Vaters erinnert. Sie nimmt einen kräftigen Schluck und gibt ihm die Flasche. "Hier! Trink Klausen! Das wird dich lustiger machen!" - "Wo hast du das Dumpfwasser her?" - "Das ist unwichtig. Trink endlich!" Er hebt an und trinkt die Flasche in einem Zug leer. Zufrieden setzt sie sich zu ihm und beobachtet ihn. Als er nach hinten fällt, beginnt sie, seine Hose zu öffnen. Nach einigen kundigen Handbewegungen setzt sie sich auf ihn. Langsam wird er wach. Er hat wieder seinen Traum geträumt und nun sitzt das Objekt seiner Begierde auf ihm und bearbeitet seinen Schwanz. Ihm wird schlecht und er versucht, sie von sich zu stoßen. Sie wehrt sich und fällt mit dem Hinterkopf gegen die Melkmaschine, fällt tot zu Boden und hat in ihrem Sturz die Melkmaschine ausgelöst. Aus Lautsprechern ertönt lautes Kuhbrüllen, das Licht geht an und die Maschine setzt sich mit Getöse in Gang. Schokolade wird durch alle Schläuche gepumpt und füllt die riesigen Kuhschablonen mit brauner Masse. Er wirft sich das Mädchen über die Schulter und verschwindet, bevor die gesamte Nachbarschaft auf den Beinen ist. Zuhause angekommen, legt er die Leiche vorsichtig ab und öffnet die Tür zu einem kleinen Nebenzimmer. Dort steht ein Glasschrein, so groß, daß ein kleiner Mensch dort der Länge nach aufbewahrt werden kann. Zur Hälfte ist der Behälter mit einer geleeartigen Substanz gefüllt. Dort hebt er das Mädchen hinein und läßt sich in der Masse langsam versinken. Sie bleibt auf halber Höhe liegen......
.....der Mann mit der schrecklichen Hautfarbe betrachtet zufrieden seinen Garten. Auf trockengelegtem Moorboden, in direkter Nachbarschaft zur Fabrik hat es lange gedauert bis hier überhaupt etwas wachsen konnte. Erst nachdem er sich in den Wald getraut hatte, um widerstandsfähige Pflanzen zu bekommen und erst als er das Schutzdach gegen den Regen gebaut hatte, ließ sich wieder Grün sehen. Was ihm allerdings Sorgen macht, sind diese eigenartigen Stauden, die innerhalb von zwei Tagen um zwei Meter gewachsen sind. Sie tragen nun als Blüten gierige Mäuler, die jede Fliege, die auf ihr landet, sofort verschlingt. Heute wollte er daran gehen, diese Pflanzen zu entfernen, weil er Angst vor ihnen hat. Man darf sie nur in tiefster Nach töten, weil sie da schlafen. Bei Tag wäre ihr Gegenangriff für jeden Menschen ohne ausreichenden Schutzpanzer tödlich. Schnell holzt er alles ab und verbrennt das Kraut noch in derselben Nacht. Als er am nächsten Morgen den Garten betritt, um sich Beeren zu holen, wird er von Bodenschlingpflanzen, die er unter Lebensgefahr aus dem Wald geholt hat, zu Boden gerissen. Flach liegend schieben sich neben ihm Wurzeln aus dem Boden, legen sich um seinen Hals und erwürgen ihn schnell. Innerhalb von Stunden ist allerlei Unkraut über ihn gewachsen und der Gaarten waar noch nie so grün und hat so geblüht wie an diesem Nachmittag............
..........Mäanner mit grauen Gesichtern unter schweren Metalluniformen gehen hintereinander auf den Waldrand zu. Sie beginnen ihre Arbeit, der Rodung des Waldes, einen Schritt weiter in der befohlenen Vernichtung aller Pflanzen. Dabei benutzen sie Waffen, aus denen hauchdünne Lichtstrahlen schießen. Alles pflanzliche Material verdunstet bei der Berührung durch das Licht und zurück bleibt Wüste, die allabendlich von einer weiteren Truppe mit Karamel bestrichen und abgedichtet wird. Sonne und Regen lassen den Zucker kristallisieren und es entsteht so eine glitzernde Struktur. Dem Zucker werden täglich neue Farbstoffe zugefügt, so daß der Talboden zu einem großen Teil von bunten schlangenförmigen und im Sonnenlicht glitzernden Flächen ausgelegt ist.....................
..............die Frau wankt zum Tresen. Ihre Haut ist eingefallen, sie muß Mitte zwanzig sein. Das dicke Gold-Make-Up kann die Falten nicht verdecken. Immer wieder stützt sie sich auf die Rücken, der an der Bar sitzenden Männer. "Hi Ben! Feuchter Abend heute!" Dabei schlägt sie dem Barkeeper mit voller Wucht auf die Schulter. Der zuckt zusammen und lächelt gezwungen. "N' Abend Lusa! Du bist doch nässere Nächte gewohnt." Lautes Auflachen ringsherum. "Lacht ihr nur! Es wird euch noch in der Kehle steckenbleiben!" Man dreht sich wieder um.
Lusa steuert nun auf den alleinsitzenden Mann am Ecktisch zu. "Hallo, ich bin Lusa. Sie wollten mich sprechen?" Sie setzt sich. "Ja. Mein Name ist Ektisch: Die Fabrik ist auf sie aufmerksam geworden...." Was soll das heißen? Ich bin gerade mal fünfundzwanzig. Okay, ich sehe ein bißchen älter aus, aber ich mache meine Arbeit, fragen sie die Männer hier!"
Fast schrill wurde ihre Stimme mit den letzten Worten. "Was nicht gefällt, ist ihr Dumpfwasserkonsum. Sie wissen, daß der Genuß dieses Getränkes nur gestattet ist, wenn ein kontrollierter Konsum gewährleistet ist, und das trifft in ihrem Fall nicht mehr zu. Sie entgleisen ständig. Sie berühren Männer, die nichts von ihnen wissen wollen und sich bedrängt fühlen. Dafür haben wir Zeugenaussagen."
"Also, was wollt ihr? Soll ich mich selbst töten?" - "Nein, wenn du aufhörst zu trinken und dich zurückziehst, werden wir dich noch ein paar Jahre mitführen können... das alles ist jedoch mit einer Gegenleistung deinerseits verbunden. Im Klartext: Dein Überleben für ein paar Jahre ist von meinem guten Willen abhängig. Das heißt, du hörst auf zu trinken und bist in jeder Beziehung nur noch für mich da. Die andere Möglichkeit ist die sofortige Liquidation durch mich hier und jetzt. Entscheide dich." - "Natürlich werde ich dir dienen, das ist für mich keine Frage." - "Das freut mich, daß du so einsichtig bist. Komm mit, du kannst deinen Dienst gleich beginnen."
Und er zieht sie durch die Hintertür hinaus in den stinkenden Hinterhof. Er zwingt sie niederzuknien und drückt ihren Kopf gegen seinen Unterleib. Sie holt seinen steifen Schwanz heraus, nimmt ihn in den Mund und beißt so fest sie kann zu. Er geht stöhnend zu Boden, dann zieht sie ihm mit einer Latte einen Schlag quer über den Schädel. Lusa öffnet ihre Handtasche und zieht ihren Stilkamm heraus. Damit sticht sie ihm die Augen aus und die Trommelfelle ein, bis es aus den Ohren blutete. Anschließend schneidet sie ihm mit ihrer Nagelschere die Zunge heraus.

Ohne sich umzudrehen geht sie aus der Stadt hinaus, dem Wald entgegen........................



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