Ina W.

I'm a female,
you're just a fairytale

Was sich im Englischen vieldeutig anhört, bekommt im Deutschen oft so eine betoniert anmutende Art, so heißt die neuste Maxi von Marius #1 und Cora 'Volle Kontrolle', womit sie meint, daß sie sich selbst voll im Griff hat - wogegen im Prinzip ja nichts einzuwenden ist. Mir persönlich ist es jedoch unmöglich, das Wort 'Kontrolle' ohne negativen Beigeschmack aufzunehmen; so spiele ich meist die instrumental Version, in dem auch das Wort 'Kontrolle' als Refrain auftaucht, sich mir aber die Gelegenheit bietet, das ganze hübsch mit Polizeisirenen von 'stupid fresh I' (Pari, du Hoe!) auszuschmücken, und schon haben wir düsteren 'Polizeistaat'. Vielleicht ist der Transfer einer Kultur wie das Afro-American, welches stärker auf mündlich ausgesprochenen Traditionen basiert, auf die deutsche Kultur, wo die Sätze als Buchstabenketten wie kleine preußische Soldaten in den Kopf marschieren, doch problematischer als auf den ersten Blick...

...the race isn't over get down the road Shanté is here to say there's still hope so lend me your ear...

Roxanne Shanté ist die bad sister #1 der old school...
Von den 1000 verschiedenen Texten, die ich (nicht englischsprachig aufgewachsen) gehört hatte, sprachen micht ihre Texte direkt an:

...Ladies it's enough I really hope you're ready cause what I got to say is far from pretty we've come a long way baby so may be Shanté can help a sister that's way behind lost in the mind and can't find her way to a better day - you know that kind
So wrapped up in fairy tale dreams
So naive that every male seams - honest and loyal

Up's in mir rap-t's, wenn ich das aufschreibe, ein Klassiker. Sie beschreibt die sisters, die sie kennt, die schlechte Jobs haben, sich nicht weiterentwickeln, jeden Typen bewundern, der sie aus ihrem öden Lbene befreien könnte, sich von Pizza ernähren, während ihre sogenannten Männer mit dem Auto rumkurven und sich amüsieren.

...You don't need a man - all ya need is to know you can standing on your own two feed and achieve anything you want out of life for yourself
- then you can be a wife...
So lend me your ears, dry up your tears and make way for the independent woman!

Tja, hier will eine Rapperin ihren Homegirls Mut machn, wenn sonst keiner da ist. Auch wenn Roxanne Shanté und ich, von der Art wie wir aufgewachsen sind, nicht viel gemeinsam haben, kommen mir diese Probleme bekannt vor, daß viele Frauen ihr 'Glück' in einem Mann suchen, sich darauf konzentrieren, einen zu finden und darüber das eigene Leben verpassen, was sie dann, wenn sie eine Beziehung gefunden haben, auch oft scheitern läßt. So interpretiere ich das - und im Hip Hop spricht jeder durch eine Menge Leute hindurch (Zitate, Antwort, etc.), um auf ihnen aufbauend eigene Anliegen zu formulieren.
How the fuck can I be that independent woman? - Um auf eigenen Füssen stehen zu können, muß man erst einmal begreifen, was nicht so eigen an einem ist, sondern der Verlauf der Geschichte und die Kultur an einem vollzogen haben. Viele Rapper/innen wählen schon ihren Namen als Verweis auf Geschichte. Queen Latifa wählt einmal das afrikanische Wort 'latifa', welches 'charmant, sanft und mächtig' bedeutet und versucht sich durch den Hinweis auf mächtige afrikanische Königinnen (z.B. Hatschepsut 1500 v.Chr., Ägypten; Nzingha *1583 Angola, etc.) noch mehr Gewicht zu verleihen als sie eh schon hat. Die Rapperin 'Nefatiti' (letzte Maxi 94 'visions of Nefatiti') wählte sich wahrscheinlich auch nicht zufällig den Namen der gleichnamigen afro-engl. Dichterin aus. In 'afro-centric' Geschichtsunterricht gipfeln die 'lyrics' der aus dem X-Clan stammenden Rapperinnen Queen Mother Rage und Isis (Isis, letztes Album 'Rebel Soul' siehe 'house of isis' produziert von 'Stereo MCs').

'Isis don't make rap music but 'vanglorious' music - a celebration of, and direct link with glory of our black ancestors before the diaspora. She's not a rapper, but a messenger.'
"I consider myself a rebel on a positive level. Blackwatch's oath is freedom or death, so I got to be some sort of rebel, my soul rebel." ... "One of the goals is to remind black woman that they have a lot of strength, it's always been there, but I don't think they realize it." (Rapmaster 1991)

In der Musik spiegelt sich dieses durch afrikanische drumbeat o. Gesangssample, die mit drummachines kombiniert werden, wieder. Seit einiger Zeit gibt es einen gewissen Hang zur old school; man kann also gut alte Stücke zwischen den neuen shit mixen (siehe auch '89 produziert von KRS 1, von Melody gerapptes Stück 'live on stage').
Know your history - begreife Deine Geschichte, o.k. Mädels, für alle die in Europa wurzeln, ist Ute Freverts 'Frauengeschichte' ganz gut lesbar, allerdings fällt einem auf, daß es in dieser, in fast jeder wissenschaftlichen oder geschichtlichen Abhandlung nicht die leisesten Hinweise daruaf gibt, daß bestimmte Geschichten, Geschlechter und Kulturen in geschriebenen akademischen Werken immer außer Acht gelassen werden... Autorinnen wie Zora Neale Houston, Bell Hooks, Michelle Cliff oder Audre Lorde können einem da aus afro-amerikanischer Sicht einen guten Schub an Perspektive vermitteln, an dem es einem als an deutschen Lehrinstituten hernagezogenes Individuum so oft fehlt. Besonders Zora Neale Houston hat mir gut gefallen... Wenn man sagt, Hip Hop ist Bestandteil einer auf oraler Basis überlieferten Kultur, müßte man Bessie Smith und Billie Holiday auch als Schriftstellerinnen begreifen und Neale Houston und Maya Angelou als Sängerinnen. Zora Neale Houston muß eigentlich immer als Bsp herhalten, weil sie die bekannteste Autorin ist, die in einer Art verschriftlichten Mündlichkeit geschrieben hat, z.B. 'their eyes watching good' eine Liebesgeschichte, die im Südstaatendialekt geschrieben ist (1935).

...you must tell 'em dat love ain't somethin' lak uh grindstone dat's the same thing everywhere and do de same thing tuh everything in touch. Live is lak de sea. It's uh movin' thin' but still and all, it takes it's shape from de shore it meets, and it's different with every shore...

Das Buch endet mit der Empfindung der Hauptperson Jainie nach dem Tod ihres Freundes Tea Cake...

The Kiss of his memory made pictures of love and light against the wall. (...) She pulled in her horizon like a great fish net Pulled it from around the waist of the world and drapped it over her shoulder. So much of life in it's meshes! She called in her soul to come and see.

- mein Herz hüpft bei jeder Silbe mit. Zora Neale Houston war für ihre Zeit auch ungeheuer mutig, sie forschte in verschiedenen Ländern und Gegenden, schrieb, reiste. Sie lebte von 1891-1960 sammelte Songs auf Haiti und schrieb in diesem Zusammenhang über Voodoo; außerdem gibt es eine Sammlung von Erzählungen über das damalige Leben auf Jamaika.
Maya Angelou (*1928, die Dichterin, die Janet Jackson in dem Film 'Poetic Justice' immer liest) hat mir auf dem Cover ihrer Calypso-LP wesentlich besser gefallen als ihr Schreibstil. Leider ist die LP 'I know why the caged birds sing' schwer zu bekommen. Ihr gleichnamiges Buch ist der erste Teil einer 5-teiligen Autobiographie. Gegen Ende beschreibt sie, wie sie, die als Kind vom Freund ihrer Mutter vergewaltigt wurde (Mr. Freeman), das erste Mal Sex hat.

Thanks to Mr. Freeman nine years before I had no pain of the absence of romantic envolvement neither of us felt much has happened. (...) Three weeks later, having thought very little of the strange and strangely empty night, I found myself pregnant...

Sie bekommt das Baby und ist wirklich glücklich damit, - es gibt mehrere irritierende Passagen dieser Art in dem Buch, aber es vermittelt auch einen Einblick von afro-amerikanischem Leben im Süden der U.S.A. und wie jemand vor dem Zeitalter von Hip Hop damit umging.
Madame Star hat uns im letzten Monat (Juni 94) eine Maxi auf 'cold chillin' vorgestellt. Schön fetziger Character...die A-Seite heißt 'babys father' genauer gesagt 'my babys father is no damned good'. Von der Geschwindigkeit und den Beats fast ein bißchen 'slam professor, Kenny Dope'... Der Text geht in etwa so: Der Typ, von dem sie ihr Baby hat, is'n Arsch 'bing bong it is you again', er ist also gerade mal wieder für ein paar Tage aus'm Knast raus und klingelt bei ihr, um sie zu nerven. Ihr kleiner Sohn freut sich total, daß Daddy mal kommt, ihm zuliebe hat sie früher mal ein Lächeln ge-faced, wenn ihr Macker kam. Diesmal reicht es ihr aber echt, das erste was er tut ist an den Klamotten von dem Kleinen rumzunörgeln. Das letzte Mal, daß er allerdings Geld für eine Jacke rausgerückt hat, war vor einem Jahr.Außerdem will sie sein scheiß Geld gar nicht, das Drogendealen nützt dem Kleinen ja auch nichts, denn dann ist Daddy in spätestens einer Woche wieder drin. Dabei braucht der Kleine einen Vater, die Lehrer in der Schule erzählen immer, er wäre unruhig und aggressiv, nur wenn Daddy da ist, spielt er Lamm - und weißt Du wieso? - "Cause he's looking for a male figure!" Auf der B-Seite ruft sie dann alle B-Girlz dazu auf, wenn sie schon nicht rappen, doch wenigstens ihre eigenen Texte zu schreiben, denn "if you don't write your own then leave the mike alone! (...) It's you I'm missing you I'm missing you!" Schließlich geht es um uns Girlz! "Niemand wird für uns sprechen, außer wir selbst." (Gloria L. Joseph, Herausgeberin von 'Schwarzer Feminismus' (auf dts.) Essay-Sammlung verschiedener Autorinnen).
Es ist naheliegend, daß sich gesprochene Worte viel enger mit demjenigen verbinden, der sie ausspricht, als es beim Schreiben der Fall ist. In der Schule wird einem immer noch beigebracht, es sei nicht gut in Ich-Form zu schreiben oder Briefe zu beginnen...Das heißt natürlich nicht, daß eine autobiographische Form nicht auch fiktives enthalten kann. CMG, MC der Gruppe 'Consciousness Daughters' (LP 'Ear to the Street') beschrieb in der letzten Source (7/94) ihr Stück 'Shitty Situation':

Shitty situation is a semi true story. You meet a guy and things might happened a little faster than they should. That has happened to me personally, and then the guy disappears and you never hear from him. I just took a little further in the way of what could happen. The pregnancy part never happened to me, but we put that message in there, like this is what can happen and it's not cool to do that. Basically, I was mad. If I had been pregnant, I don't know what I would have did! But now I put it in a song.

Diese in mündlicher Form entwickelte Art des sich aufeinander Beziehens bietet im Gegensatz zu stark akademisch geprägten Ausdrucksweisen eine stärkere Offenheit für Menschen, Situationen und Kulturen, die durch den Verlauf von Geschichte, der Struktur eines akademischen Textes, der sich auf Fakten (d.h. Quellenmaterial, Dokumente, Urkunden) stützt, gar nicht entsprechen können, da diese Quellenmaterialien aufgrund der Geschichte gar nicht existieren.
Durch die sample/loop technic, die ja ständig auf Geschichte verweist artet das Hören alter Soul, Funk, Blues, Jazz Stücke für Hip Hop Hörer oft in ein 'Sample Quiz' aus. Man hört dann z.B. Gwen McCrae's '90% of me is you', und denkt: wau, das ist ja die Musik, die z.B. bei Boss in ihrem Stück 'Deeper' wieder auftaucht, so eine Erfahrung ist eine Bereicherung der Seele (ja natürlich auch der Zentrale) - dat's history, too!
Neben einem dicken shout out für Adrianna Eavans, die das Stück 'Check the Vibe' von Dread Scott mit ihrem Backing trägt, daß es mir nicht mehr aus dem Kopf will, respect an simple E, die es aus unerklärlichen Gründen mit 'Play my Funk' sogar ins deutsche Radioprogramm geschafft hat, was ja größtenteils ungenießbar ist.
Zum Abschluß noch einen kleinen Exkurs über Hoez!

The Source: Do y'all ever have problems with the whole 'bitch' word?
Special One: Ah, that word has no power.
CMG: And keep in mind that we grew up listening to Too Short (...) That word don't have no power. Woman have taken the power out of this word. We don't trip off of it no more. 'Yeah, I'm a bitch whatever, I'm the best bitch...' We flipped the word around. (Interview mit Conscious Daughters, Source July 94)

Es gibt kein beliebteres Thema als der eigene Schwanz bei der Mehrzahl von Rappern, so überraschte mich vor allem die U.S.-Rezensionen der Platte 'Az much Ass azz U want' von den Hoez with Attitude. Hier sind ein paar Mädels, die auf Easy E's Label handfeste pornographische Texte zu smoother, schneller Musik machen. Aber komischerweise werden Rapperinnen, die sich in ähnlicher Weise mit ihrer sexuellen Stärke brüsten wie Männer, sowohl als unweiblich ('hier wird versucht, männliche Sexualität nachzuahmen') als auch als unqualifiziert gesehen. Hoez with Attitude geben sich auch ungeheure Mühe mit ihrem Styling, immer haben die drei etwas Unpassendes an. Einmal traten sie in Pelzbikinis und Pelzmänteln auf, am nächsten Tag lag bei ihrem Label eine Autogrammkarte mit gecrossten Gesichtern und 'Fur hurts'. Darauf erwiderten Hoez with Attitude:

'And then they wanna say how many animals they had to kill to put this fur together. I want them to know how many animals I had to fuck to get that fur.' (Vibe 5/94)

So I say: Don't give a shit about old man missionary, we are just pussyclats revolutionary - cause we are creators, we are creators, we are creators of reality!



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