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|> Interview: Edgar Froese [Tangerine Dream]
von Juergen Balitzki; 1980


JB: Ihre Band heisst Tangerine Dream - woher kam der Name - was hat er zu bedeuten?

EF: Ins Deutsche uebersetzt, schlicht: orangefarbener Traum.
Der Begriff entstand zu einer Zeit, als sich die Musik, die ganze Gruppe in einem sehr stark bewusstseinsverarbeitendem Zustand, in einem starken Wandel befand.
Wir haben damals diesen Namen gewaehlt, weil er fuer viele dieser Veraenderungen stand. Damals, ich beziehe mich auf Ende der 60er Jahre, erschienen uns viele Dinge, wie sie uns von anderen erzaehlt oder mitgeteilt wurden nicht mehr so sehr real. Deswegen kam dieser Aspekt des Traumes und des Traumas in diesen Namen.

JB: Das ist also nicht nur eine musikalische Angelegenheit?

EF: Nein, sicher nicht nur ein musikalische Angelegenheit, da wir uns zwar nicht primaer als politsch handelnde Gruppe begreifen, aber nichtsdestoweniger bestimmte Prozesse in die Musik und selbstverstaendlich in unser Verhalten einbeziehen - die, einfach gesagt, gesellschaftliche Hintergruende haben.

JB: 1970 trennten sie sich vom traditionellen Rock-Instrumentarium - welche Gruende gab es dafuer?
War es vielleicht auch die Marktluecke, die da gewittert wurde?

EF: Die war es ganz sicher nicht. Es war der Aspekt das eben mit den damaligen Produktionsmitteln die damals allerorts genutzt wurden, also Gitarre, Bass, Schlagzeug und evt. ein Tasteninstrument, das damit nach unserer Vorstellung nicht mehr das Optimale auszudruecken war, was wir damals bewusstseinsmaessig entwickelt hatten.
Und wenn man damals gedacht haette, das man Marktluecken ausnutzen koennte, indem man konventionelles Instrumentarium weglaesst, wie wir es damals taten, das waere schon deswegen falsch, weil damals die Hoergewohnheiten noch nicht soweit fortgeschritten waren. In den ersten Jahren der Arbeit mit elektronischen Instrumenten, bzw. elektronischen Klangerzeugern, erlebten wir vielmehr ein Fiasko nach dem anderen.

JB: Sie haben einmal gesagt das die Tangerine Dream Musik feste Regeln hat. Koennten sie mal versuchen diese zu bezeichnen?

EF: Fuer mich bestehen Regeln nicht nur aus den Inhalten die in ganz enger Verbindung zur Musik stehen.
Fuer mich - und so geht es auch den anderen Mitgliedern, faengt die Musik schon im normalen Lebensbereich an. Alles was erfahren und aufgenommen wird fliesst in die Musik ein und wird dann durch die Filtereigenschaften des Bewusstseins in Klang umgesetzt. Das heisst, wie ich lebe, so mache ich auch Musik.
Regeln koennte man so darstellen, das wir uns ueber Ablaeufe die Musik-bestimmend sind unterhalten, bei Plattenaufnahmen, bei Konzerten, wir wir in bestimmter Weise aufeinander reagieren wollen. Da wir improvisieren, brauchen wir keine Notation - das Reglement beschraenkt sich also auf bestimmbare Moeglichkeiten der Instrumenteneinstellung und dareuberhinaus auf ein bestimmte Stimulans vor den Konzerten. D.h. moeglichst vorherrschende Ruhe und das wir auch sonst versuchen, Hektik, sofern sie dem Konzert schaden koennte, aussen vor zu halten.

JB: Welches sind die Unterschiede hinsichtlich des Produktionsprozesses zwischen ihren Konzerten und Studioaufnahmen?

EF: Es gibt Unterschiede - der gravierendste natuerlich der, das eine Schallplatte maximal 20-22 Minuten pro Seite lang sein kann. Ein Konzert wie wir es gewohnt sind, abzuwickeln 2 x 45 Minuten. Man hat da andere Moeglichkeiten hinsichtlich der sogenannten Einschwingvorgaenge. Wenn wir auf eine Buehne gehen, bezeichnen wir die Zeit, in der wir die Moeglichkeiten der Kommunikation zwischen Musikern und dem Publikum, irgendwie erspielt haben, als Einschwingzeit. Die dauert in der Regel um die 10 Minuten.
D.h. man muss Moeglichkeiten schaffen das Publikum in den Rhythmus des eigenen Spielens und Musikmachens miteinzubeziehen.
Bei Plattenproduktionen kommt man nicht umhin, mehr strukturelle Absprachen zu treffen. Man hat eben nur diese 20/22 minuten zur Verfuegung - da kann man nicht sagen, jetz improvisiere ich erstmal 15 Minuten und in der restlichen Zeit lasse ich mir noch was ganz Tolles einfallen. Man muss komprimieren, man muss bestimmte Dinge zentralisieren. Das tun wir auch - entweder schaffen wir uns bestimmte Diagramm-Ablaeufe, die wir vorskizzieren, oder wir erspielen bestimmt Sequenzen simultan.

JB: Bevor sie Musik machten, haben sie 5 Jahre Malerei und Bildhauerei studiert. Sie hatten Kontakt zu Salvadore Dali - hatte das, sowohl ihr Studium als auch Dali, bestimmte Auswirkungen auf ihre Musik?

EF: Ja, ganz sicher. Ich habe neben der Malerei in erster Linie Bildhauerei studiert - und daraus habe ich ein sehr wichtiges Moment uebernommen: die Dinge komplex zu sehen, und sie dann zu meiner subjektiven Sicht der Dinge hin zu bewegen.
D.h. ein grober Stein ist erstmal ein Stein - und damit er meine Sicht der Dinge bekommt, muss ich ihn erstmal bearbeiten, muss ich ihm meine Praegung geben. Deshalb hat fuer mich auch die Moeglichkeit im Element der Toene zu wuehlen, sie zu bearbeiten, auch etwas bildhauerisches. Dali, oder auch andere bildende Kuenstler, waren dahingehend interessant, das man Menschen kennenlernt, die ihr Leben lang ganz konsequent eine Richtung verfolgt haben, und da sicher sehr erfolgreich sind.
Was man nun ueber gesellschaftsmaessige Umstaende, die mit diesen Kuenstlern in Verbindung stehen, denkt, oder wie man sie interpretiert, ist wieder ein ganz andere Sache. Ich meine, Dali bringt das natuerlich und faehrt mit 2-3 Rolls Royce, moeglichst gleichzeitig, und abonniert zugleich noch 'Humanitè' usw. - wie das alles zusammengeht, dass weiss er sicher selbst am besten...(lacht)
Ich kann da jetzt wirklich nur ueber das rein kuenstlerische Moment sprechen und finde da seine Leistung schon ganz beachtlich.
In gewisser Hinsicht sind alle unsere Stuecke etwas surreal - eine Mischung aus real Verstandenem und sehr surreal Nachempfundenem.

JB: Sie gehoeren mit TD ja zur internationalen Spitzenklasse - das Geschaeft floriert also. Wie sehen sie das Verhaeltnis von Kommerzialitaet und Kreativitaet?
Sie haben frueher mal davon gesprochen, wie schaedlich eine Massenbasis fuer die kritische Auseinandersetzung mit sich selbst ist.

EF: Ich glaube wir haben als Gruppe - und auch persoenlich - sehr einfach gesagt - die Kurve ganz gut gekriegt - insofern als wir relativ frueh davon ausgegangen sind, das wir bestimmt materielle Mittel brauchen, um uns die sehr teuren Produktionsmittel kaufen zu koennen. Die Moeglichkeit jetzt davon sehr viel zum privaten, zum luxurioesen Gebrauch abzuzweigen, diese Moeglichkeit wurde einfach von Anfang an nicht sehr stark von uns beruecksichtigt.
Das ist ein sehr grosses Problem - du kannst auf der einen Seite sehr gute Musik machen - du kannst andererseits nicht verhindern, das vielleicht eine sehr gute Musik sehr oft verkauft und sehr gut bezahlt wird.
Wir arbeiten mit elektronsichen Klanggebern, Computern usw. die in ihrer Anschaffung, in ihrem Unterhalt UND in ihrer Weiterentwicklung sehr, sehr teuer sind.
Aber unsere Vorstellung kreativer Musik Erzeugung ist so angelegt, dass wir diese Mittel brauchen. Und wir verwenden diese Geld eben fuer den Erwerb dieses Instrumentariums.
D.h. wir werden vom Erfolg nicht "gebeutelt" - uns wirft der Erfolg nicht um. Deshalb ist auch die Massenbasis, die wir tatsaechlich haben, nicht schaedlich. Ich glaube sogar, dass eben diese Massenbasis auch einen Rueckkopplungseffekt ermoeglicht.

JB: Was gehoert zu ihrem Instrumentarium?

EF: Wir arbeiten durchschnittlich an 18-22 Keyboards - das darf man aber nicht so verstehen das wir diese Tasteninstrumente immer mit uns bewegen, sondern wir nutzen sie zu bestimmten Teilen nur als Trigger, als Impulsgeber, fuer elektronische Bausteine, die von ihnen angesteuert werden. Manchmal ist ein Keyboard nur fuer die Erzeugung einer bestimmten Klangfarbe, 2-3 mal innnerhalb eines Konzertes gut. Diese ist dann aber so wichtig, das man nicht darauf verzichten kann.
Und da wir immer noch hauptsaechlich nach dem Prinzip der Spannungssteuerung arbeiten, also mit niederfrequenten Geraeten, sind bestimmte Vorgaenge im Musik-Erzeugungsprozess auf eine Vielzahl von Keyboards angewiesen.
Daneben haben wir natuerlich auch ganz normale, orgel-aehnlche Instrumente, dazu spiele ich ab und zu etwas Gitarre. Ein Piano ist dabei, eine umfangreiche Verstaerkeranlage. Dann haben wir, von Zeit zu Zeit, den Gegebenheiten entsprechend, einen Beleuchtungsapparat dabei, der dann noch eine Lasereinheit beinhaltet - und diese Dinge versuchen wir so optimal wie moeglich in Beziehung zueinander zu bringen.
Um das ganze Material zu bewegen brauchen wir mittlerweile zwei Sattelschlepper.

JB: Wie wuerden sie ihre Arbeit von der anderer Gruppen, die auch elektronisches Instrumentarium benuetzen, wie z.B. Pink Floyd oder Emerson, Lake & Palmer, abgrenzen?

EF: Roger Waters von Pink Floyd hat in einem Interview einen ganz interessanten Satz gesagt. Er sagte, dass man, egal wie 'progressiv' oder 'Untergrund'-maessig man sich selber einordnet, man sich in dem Moment nicht mehr zum Untergrund rechnen kann, wo man ein paar Millionen Schallplatten verkauft. Da steckt sicher eine gewisse Wahrheit drin.
Man kann halt nur versuchen, die eigenen Ideen immer geradlinig weiter zu verfolgen. Aber man kann nicht mehr davon ausgehen, wenn man ein paar Mio. Platten verkauft hat, das haben wir inzwischen auch, das man dann unbeachtet in der Ecke steht und sein Suepplein kochen kann. Man wird beobachtet: der Weg den man einschlaegt, die Art und Weise wie man sich ueber die Arbeit aeussert, das Auftreten in der Oeffentlichkeit usw. unterliegen auf einmal ganz anderen Kriterien, als wenn man nur im Kellerlokal spielt.
Man muss sich da der Verantwortung bewusst sein, die man hat - auch dem Publikum gegenueber. Auch bei den Tourneen - da kommt man mit anderen Musikerkollegen zusammen, die teils in noch wesentlich groesseren Kategorien gehandelt werden - und man kann da beide Phaenomene beobachten: Leute, die die sogenannte Kurve sehr gut bekommen haben, denen es auch "trotz" ihres Erfolges sehr gut geht und man sieht leider auch das Gegenteil: das Leute an diesem Geschaeft kaputt gehen. Weil die Wahrscheinlichkeit, mit Geld eben mehr zu machen als es nur auszugeben, von vielen unterschaetzt wird.

JB: Hat der Titel ihrer letzten Lp "Force Majeure"["Hoehere Gewalt"], etwas mit diesen Dingen zu tun?

EF: Ja, in der Tat. Und zwar wollten wir wieder mal auf Europa-Tour gehen - das war Anfang 1979. Und eigentlich war alles abgeschlossen, hinsichtlich der Vorbereitungen. Die Hallen waren gebucht, der Tourneeplan stand fest, wir brauchten eigentlich nur noch diese ganz intensive Phase von 2 Monaten zu durchlaufen. Zu diesem Punkt standen wir dann bei einem Vorbereitungsetat von einer Viertelmillion.
Und dann hat es mich, ehrlich gesagt, mal ein bisschen gepackt. Dann haben wir uns hingesetzt und uns mal ueberlegt, was das denn eigentlich noch soll.
Da waren dann also diese ganzen tollen Dinge dabei, die zu so einer "Materialschlacht" in der Pop- und Rockmusik heutzutage gehoeren. Der Laser war da noch der kleinste Posten...da gab es alle moeglichen ausfahrbaren hydraulischen Vorrichtungen und hin und her...
..und dann in einem ruhigen Moment sassen wir beisammen uns sagten uns: 'Moment, was wollen wir eigentlich? Wollen wir Musik machen oder machen wir hier eine Zirkusveranstaltung?
Und das ging dann sehr schnell - innerhalb von 3 Tagen hatten wir das ganze Projekt abgeblasen und die Tour nicht gemacht, weil wir den Moment fuehlten, das tatsaechlich unsere Identitaet nicht mehr stimmte.
Wir sahen unsere Musik einfach nicht mehr optimal dargestellt, obwohl alles so optimal aussah - alles so schoen gross und aufgeblasen...
Und da dachten wir: Nein - und wenn wir die naechste Tour mit kleinen blauen Laempchen machen - dann schon lieber so. Jetzt erstmal zurueck zur Musik, dann sehen wir weiter.

JB: Mir scheint, dass sie auf ihren Solo-Alben melodioeser klingen -als wuerde die, fuer das Publikum direkt fassbare Melodie, mehr im Vordergrund stehen.

EF: Ja, das ist richtig, weil ich glaube, so experimentierfreudig ich auch bin, das es keinen Sinn hat, sich zu weit von dem zu entfernen, was auch fuer andere Leute noch fassbar ist. Wir sind durchaus in der Lage, absolut aus der Tonalitaet zu verschwinden und in ganz andere musikalische Gefilde aufzubrechen.
Wir wuerden dann aber dieses Feld der Gemeinsamkeit, der Assoziation zu bekannter Musik voellig verlassen. D.h. viele Menschen haetten keinen Zugang mehr dazu. Deshalb versuchen wir beides miteinander zu verbinden, sodass der Zuhoerer immmer noch die Moeglichkeit der Assoziation zu Bekanntem hat, aber gleichzeitig mitgenommen wird, auf den Transport in unbekanntere musikalische Gefilde, wo er sich sebst drin erfahren kann, wo er einfach neue Eindruecke gewinnen kann.

Interview von Juergen Balitzki; 1980
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