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|> Portrait: Rolf-Ulrich Kaiser
von Wolfgang Layer
[entnommen dem Buch 'Klaus Schulze ...eine musikalische Gratwanderung]


"K" wie Kaiser, "K" wie Kosmos
Der Macher

"Wer P sagt wie Popmusik muss auch K sagen wie Kaiser": Zitat Westdeutsche Allgemeine Zeitung 1969.

Er war Deutschlands ungekroente Rock-, Pop- & Elektronikinstanz der frühen 70er-Jahre. Er begann im Kollektiv links unten und endete in der Einsamkeit der selbst erdachten und beschworenen Galaxien. Er war seiner Zeit um 10-15 Jahre voraus. Er machte viel Geld und Pleite. Er war Motor und bald schon Sand im eigenen Getriebe. Und auf der langen "Reise durch die Zeit" vergass ihn die Zeit.

Rolf-Ulrich Kaiser: sein Name ist untrennbar mit dem Aufbruch der deutschen Rockmusik verbunden, mit der Berliner Schule, mit Klaus Schulze, Tangerine Dream, Ashra Tempel, mit den KOSMISCHEN KURIEREN und mit den Plattenlabeis OHR und PILZ. Wo Kaiser heute lebt, ist unbekannt. Angeblich soll er als Promoter für Erik van Daeniken in Amerika unterwegs sein, Genaues weiss keiner.
Zum letztenmal gesehen wurde er 1982 von dem bekannten Journalisten Tom Schroeder am Koelner Hauptbahnhof sowie bei der Frankfurter Buchmesse von Reinhard Hippen, dem Gründer und Leiter des Deutschen Kabarett-Archivs in Mainz. Kein Gespraech mit den ehemaligen Kollegen und Mitarbeitern, keine Unterhaltung, nur der Kommentar Kaisers: "Ich hab' euch doch alle gross gemacht damals ..."

Ich bat Reinhard Hippen, Tom Schroeder, ferner Martin Degenhardt (sie kannten Rolf-Ulrich Kaiser besonders gut) zu einem Roundtable im Frühherbst 1986. Ausschnitte aus dem Gespraech finden sich in diesem Artikel wieder. Danke Martin, danke Reinhard, danke Tom!

Es passt zum Image des Mannes, den seine Bekannten gerne den "Ruk-Zuk" nannten ("Ruk" für R. U. Kaiser), dass er seine Karriere senkrecht und mit einem Paukenschlag startete. Das war vom 25.-29. September 1968 in Essen. "IEST 68" die INTERNATIONALEN ESSENER SONG TAGE, standen für ein bis dato in Deutschland voellig neues Festival-Konzept.
Vom ein oder anderen geglückten Open-Ohr-Festival in Mainz einmal abgesehen hat es etwas Vergleichbares in Deutschland nicht mehr gegeben.

Franz Josef Degenhardt, Hanns Dieter Hüsch, Wolfgang Neuss und Dieter Süverkrüp bestritten das Eroeffnungskonzert im Essener Jugendzentrum; die naechsten 4 Tage brachten (wahllos ausgewaehlt) Bob Davenport & The Rakes, Hein & Oss, Erich Fried, Bernd Witthüser, die Gruppen Meditation, Tangerine Dream, Time is Now, die City Preachers, Schnuckenack Reinhardt, Rick Abao, Paco de Lucia und de Algeciras, Colin Wilkie & Shirley Hart, Alexis Korner, Julie Felix, Edu Lobo, David Peel, Reverend Fitzgerald Kirkpatrick' Matt Jones and his Black Power Band, Hannes Wader, Floh de Cologne, Ingo Insterburg' Rolf Schwendter, Spooky Tooth, The Nice' Peter Broetzmann und erstmals in Deutschland: Frank Zappa's Mothers of Inventions und The Fugs.

Beim gleichzeitigen IEST-Wettbewerb für neue Lieder 1968 - Jury: Rolf-Ulrich Kaiser, Reinhard Hippen, Martin Degenhardt und Henryk M. Broder - wurden u.a. Ulrich Roski und Lerryn ausgezeichnet.

Ein gigantisches Projekt für einen Einsteiger mit AbsolutheitsAnspruch. Hier war ein Hansdampf in allen Gassen am Werk, ein Andre Heller der 60er-Jahre, ein Macher, kein Poet, besessen von einer Idee. Die Idee nahm ihren Ausgang beim Festival der Liedermacher auf BURG WALDECK und ihr Konzept einer Vermischung von Hoch- und Underground-, etablierter und nicht etablierter Kultur veraenderte WALDECK.

Kaiser freilich wollte klotzen, nicht kleckern. Deswegen bekam er vom Jugendamt der Stadt Essen das noetige Geld. Die politisch Verantwortlichen in den Staedten erkannten die oekonomische Bedeutung eines solchen Festivals. Wo Primaerindustrien schwanden galt es, den Freizeitwert zu erhoehen. Rolf-Ulrich Kaiser schaetzte die Situation richtig ein und war damit unserer Zeit um rund 15 Jahre voraus. Beispiel Berlin: wo Kultur vom Hellerschen Riesenfeuerwerk bis zum Leierkastentreffen aller Leierfrauen und -maenner nur noch als Pauschal-Touristik-Paket mit Übergewicht vermarktet und als solches nicht im Kultursenat, sondern im Wirtschaftssenat abgesegnet wird.

IEST 68 - der WDR war dabei, der SWF, Hoerfunk und Fernsehen, die Deutsche Lufthansa, die Rank-Xerox GmbH und Dynacord München lieferten die "little help from my friends"; es gab eine Song-Documenta' eine Ausstellung über alles Wichtige in Sachen Chanson, Pop, Folk und Underground' einen Untergrund-Basar, selbstverstaendlich Zelte zur freien Unterkunft, eine taegliche Festzeitung und ein komplettes Buch, das SONGMAGAZIN zu den Song-Tagen, ein Vorlaeufer zu dem ein Jahr spaeter erschienenen Buch "UNDERGROUND? POP? NEIN! GEGENKULTUR!"

Mit den Internationalen Essener Song-Tagen etablierte sich Rolf-Ulrich Kaiser. Nun war er der Pop-Kaiser. Sein Ziel: die Subkultur zur Kultur machen. Das Song-Magazin für IEST 68 war Kaisers zweites Buch. Bereits ein Jahr zuvor, 1967, hatte er beim Damokles-Verlag, Ahrensburg-Paris, "Das Songbuch" herausgebracht. "Ein Buch dieser Art gab es in Deutschland bislang nicht", eroeffnete Franz J. Degenhardt das Vorwort und erklaerte, was an dem Buch so besonders und wichtig war: "Diese populaere Darstellung macht manches verstaendlich, was bislang Sache von Fans und Fachleuten war. Populaer dargestellt, wendet sich die Arbeit an viele Leser, und das ist sehr vernünftig. Den Sing-Out-Gruppen sollte auch mit Buechern Widerstand geleistet werden."

Einer umfassenden Praesentation der internationalen und deutschen Song-Szene folgen im "Songbuch" Interviews von Rolf-Ulrich Kaiser mit Pete Seeger, Joan Baez' Phil Ochs, Franz-Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp. Dann der lexigraphische Teil vom Italiener Fausto Amodei bis zu Karl Wolfram, abschliessend einige Song-Texte. Das war das "Songbuch" 1967.

Auf das Songmagazin für IEST 68 folgte noch im selben Jahr die "Protestfibel. Formen einer neuen Kultur." 1969 dann "Kinder der Geburtstagspresse", der erste Grossvertrieb für eine amerikanische Undergroundzeitung' den Kaiser mit Henryk M. Broder machte. In dieser Reihe erschienen (alle 1969): "Fuck The Fugs, das buch der fugs"' "Zapzapzappa' das buch der mothers of jnvention" und "B ist doch ein Scheisser' das beste aus der deutschen untergrundpresse". Ideen aus all diesen Veroeffentlichungen gingen Ende 1969 in der Buchcollage "UNDERGROUND? POP? NEIN! GEGENKULTUR!" auf, der originellsten und am meisten "alternativen" Veroeffentlichung Kaisers. Layout: Reinhard Hippen.

Ein "Konkret"-Artikel von Peter Handke lieferte das sog. erste Vorwort:
"... dass eben die Unterscheidung zwischen Kultur und Subkultur sich nur noch in dem Bewusstsein von überlebten ,Kulturkritikern' reproduziert, deren Bewusstsein von jeher schon nicht groesser als Maeusedreck war ... Die ernsthaft produzierenden, nicht nur immer sich reproduzierenden Linken sind aufgefordert, die laengst überlebten Kulturfasler, die, statt kritische Arbeit zu leisten, doch nur folkiorische linke Signale von sich geben und mit ehedem wichtigen Saetzen ein l'art pour i'art von Zitaten betreiben, einmal genau zu überprüfen. Ich meine, es handelt sich bei ihnen um nichts anderes als um parasitaere Mitlaeufer."

Zu den eifrigsten Lesern gerade dieses Buches zaehlten 1969 sicher zahlreiche Polizeidienststellen; denn keine Adressensammlung der APO-Bewegung bot ihnen mehr Informationen und Stoff für Recherchen als die des perfekten Kompilators Kaiser. Vieles war (ohne Frage) mit der heissen Feder geschrieben.
Über 10 Veroeffentlichungen in 5 Jahren, und das so nebenher, neben Festival und Plattenproduktion, hierfür musste Kaiser sammeln, was ihm in die Haende fiel. Letzte Veroeffentlichung .1969: "Das Buch der neuen Popmusik". 1970: "Fabrikbewohner. Protokoll einer Kommune und 23 Trips" und: "Die Gegenmedien. Neue Modelle von Kommunikation 1971: ein in Holland erschienenes Buch über Frank Zappa.
1972: "Rock-Zeit. Stars, Geschaeft und Geschichte der neuen Pop-Musik". Dieses mit 374 Seiten umfangreichste Werk Kaisers (Econ-Verlag' Düsseldorf-Wien) ist zugleich sein kritischstes, ein Schwanen~sang auf Ideen und Idole. Pop, Produkt, Profit, Promotion, Produzent und Publikum - Kaiser geisselt "die Korrumpiertheit und Inkonsequenz des sogenannten Underground"' durchleuchtet das Geschaeft und merkt nicht, dass er selbst mitten drin steckt. Dass er einer dieser Produzenten ist, die mit Hype-Werbung einen Markenartikel anbieten, die Ware KOSMOS.

Dass er von einer eigenstaendigen deutschen Rock-Szene spricht, die es so gar nicht gibt. Dass er bald teure Prozesse am Hals haben wird, weil seine Vertragsgruppen sich gelinkt fühlten. Dass er mit dem sog. "Gallenstein des Monats" kritische Kollegen veraechtlich zu machen versucht, wie 1973 Rainer Wagner vom DEUTSCHEN ALLGEMEINEN SONNTAGS BLATT. Berlins bestin formierte unabhaengig-kritische Rock-Stimme, der Journalist und Rundfunkmann Barry Graves meinte in seiner regelmaessigen Glosse "Boiiing" in der Tageszeitung DER ABEND:
"Gewiss: Klappern gehoert ganz legitim zum Handwerk; aber eine Plattenfirma sollte, auch ganz legitim, an den Ansprüchen gemessen werden koennen, die sie mit ihrer Musik aufstellt. Wer den Werbemund so aufreisst wie die Bewusstseinserweiterer von ,Ohr' und die Gesellschaftsaufklaerer vqn ,Pilz', der muss damit rechnen, dass man ihm auf den Zahn fühlt und merkt, was gar nicht überrascht: die wollen auch nur Goldplomben haben. Bloss, dass sie's so ungeniert sagen, unterscheidet sie tatsaechlich vom übrigen Platten-Establishment."

Kaiser war geradezu besessen von seinem Alleinvertretungsanspruch in Sachen Deutscher Rockmusik.
Eine Auseinandersetzung jagte die andere. SOUNDS Deutschlands führende Pop-Zeitschrift der 70er-Jahre, wurde von ihm beschimpft, weil sie es wagte, kritische Saetze und Bilder über den mehr als zweifelhaften Drogen-Apostel Timothy Leary zu veroeffentlichen.
Kaiser konterte in seinem Pressedienst:
"Timothy Leary ist vom CIA verfolgt. Die Zeitschrift mit dem bislang angeblich ,progressiven' Image druckt in ihrem April-heft drei Fotos von Timothy Leary' die aus den CIA-Fotoarchiven stammen. Der CIA braucht Sounds nicht. Die Redakteure von Sounds aber durchschauen nicht, wie er arbeitet. Sie drucken Fotos von Timothy Leary' die sie nicht als CIA-Fotos durchschauen. Sie drucken Hass statt Freude. Der Zeitschrift haben zahlreiche von Timothy Leary akzeptierte Bilder vorgelegen, die ihn zeigen, wie er ist. Ein Mensch der Freude. Sounds hat sich damit gegen Timothy Leary und das Prinzip der Freude entschieden. Für Angst, Horror und CIA. Wir entschuldigen uns hiermit offiziell vor allen Freunden von Tim in aller Welt, dass er in der Zeitschrift, an die wir einmal glaubten, in dieser Weise verletzt worden ist. Wir ziehen unsere Konsequenzen:
1. Das Zeichen ,Eine Empfehlung von sounds' auf unserem schoensten Album ,Kosmische Musik' wird ersetzt durch das neue Zeichen ,Eine Empfehlung von Timothy Leary, Liz Elliot & Brian Barritt'. 2. Wir verzichten auf eine Zusammenarbeit mit sounds. (...)
3. Wir prophezeihen - diese sounds ist tot. Good Bye, Underground!" Unterzeichnet von Rolf-Ulrich Kaiser & Gille, The Producers of The Cosmic Couriers und alle Cosmic Courier Musiker in Deutschland - und in aller Welt.

Was war geschehen? Das Programm, das Kaiser ursprünglich vorhatte mit seinem Ohr-Label (der Name stammt von Reinhard Hippen) war ein politisch radikales. Der Anspruch zielte darauf, eine Platte einerseits mehr als Kunstobjekt zu verkaufen, andererseits mit ganz politischem Inhalt. Der ploetzliche Umschwung hing mit der persoenlichen Entwicklung Kaisers zusammen, mit seinen LSD-Erfahrungen und - vielleicht auch damit, dass er (wie Martin Degenhardt glaubt) voellig unmusikalisch war.
Er erkannte das Neue, das Aussergewoehnliche, das nicht Dagewesene an der Musik von TANGERINE DREAM, KLAUS SCHULZE oder ASH RA TEMPEL. Er war überzeugt davon, dass dieser Musik die Zukunft gehoeren würde. Und er war überzeugt von der bewusstseinserweiternden Kraft der LSD-Droge, die er laut Angaben mehrerer Künstler, die bei ihm unter Vertrag waren, den Musikern ohne ihr Wissen in die Getraenke mischte.

R. U. Kaiser + Gille Lettmann

Ferner trat zum erstenmal eine Frau in Kaisers Leben, in seine bis dato mit Terminen angehaeufte und Frauenlose Zeit. Sein politischer Traum, der Traum des Puritaners und Realisten Rolf-Ulrich Kaiser, der morgens um 7.00 Uhr an seiner Schreibmaschine sass, waehrend alle anderen noch den Rausch vom Trip der vergangenen Nacht ausschliefen' der Projekte nicht nur in naechte-langen Diskussionen plante, sondern auch durchführte, der von Zappa nicht nur sprach, sondern ihn in Amerika aufsuchte und ihm sagte: "Guten Tag, ich heisse Rolf-Ulrich Kaiser und komme aus Deutschland" ... sein Traum war der einer Grosskommune' eines Kunst-Zentrums, eines Wohngelaendes mit eigenen Studios, eigenen Technikern, so wie Zappa es besass.
Mit dem Eintritt von Gille Lettmann in Kaisers Leben begann ein Prozess, innerhalb dessen die Realitaet immer weiter zurückgedraengt wurde bis hin zur gemeinsamen Vereinsamung und Verfolgungswahn. Gille hatte schon immer einen Hang zum Okkulten. Sie weissagte aus Tarot-Karten' sie wurde das spaetere Sternenmaedchen, das in Zeitungen inserierte und den Kosmos beschwor.

Es war die Zeit der grossen Enttaeuschung, das 68-er-Fieber war verglüht, die Revolution ausgeblieben, Zappa ausgebuht worden, weil nicht mehr politisch genug. Die Orthodoxen gründeten die K-Gruppen und flüchteten in die Gewalt, die Sensible-ren wie Kaiser in die Traeume: der typische deutsche Weg zurück in die Innerlichkeit. Was blieb, war der "Traum von der blühenden, wieder paradiesischen Umwelt", "die Sehnsucht nach den immerglücklichen Weisen" und Timothy Learys "Anweisung für den Ersten Bardo" aus dem Doppelalbum KOSMISCHE MUSIK:

Rolf-Ulrich Kaiser "Die Zeit ist für dich gekommen, wo du neue Ebenen der Wirklichkeit suchst. Dein Ich und das Spiel (der Name) hoeren bald auf zu existieren. Du wirst gleich von Angesicht zu Angesicht dem Klaren Licht gegenübergestellt."

Es bleibt einer weiteren, umfangreichen Veroeffentlichung über Rolf-Ulrich Kaiser vorbehalten, seine Verdienste um die deutsche Rockmusik und sein Scheitern zu würdigen. Seine wichtigste Leistung war die, dass er vor Udo Lindenberg Deutsch-Rock gesammelt und auf Platte gepresst hat.
Dies war der Anfang.

Wolfgang Layer
> entnommen dem Buch 'Klaus Schulze ...eine musikalische Gratwanderung
Buchverlag Michael Schwinn | 1986

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