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|> Interview: Hans-Joachim Roedelius

e-mail Interview mit H.-J. Roedelius; Oktober 2000;

Fragen: Knut Gerwers


Q: wie kamen sie selbst zur elektronischen musik, was war ihr (kuenstlerischer) hintergrund?

HJR: Per "Zufall". Ich war Krankengymnast und Masseur, bevor ich in den politisch/kulturellen Turbulenzen der 68'er Jahre entdeckte, dass es die Kunst ist, wohin ich von Berufs wegen gehöre. Aber unter meinen Ahnen befinden sich in langer, ununterbrochener Reihe, Kirchenmusiker, Prediger, Lehrer, wenn auch einige Generationen zurück, (mein Vater war Zahnarzt und der Großvater Dentist.) sodaß ich eigentlich sagen kann, ich habe,wenn auch spät, meine Wurzeln, bzw.eine gewisse Prädestination meine Berufung sozusagen "wiederentdeckt".

Q: Wie wuerden sie sagen, hat sich der damalige zeithintergrund in ihrer musik niedergeschlagen?

HJR: In keiner anderen zeitgenössischen, deutschen Nachkriegsmusik inhaltlich und formal deutlicher als in den frühen Kluster / Cluster Musiken.

Q: gab es ein gefuehl von neuanfang, dem vielzitierten neuanfang nach der "stunde null"?

HJR: Für mich war es DER BEGINN eines endlich sinnvoll gelebten und erfüllten Lebens,alles was davor lag,verblaßt angesichts dieser Erfüllung,auch wenn die Berührungen mit Menschen und Landschaften in der Zeit "vorher",meine Wanderschaften durch Europa,meine Erfahrungen aus diesem Lebensabschnitt mir sicher prägende Impulse für mein "neues Leben"mitgegeben haben.

Q: gab es fuer sie damals ueberhaupt noch wurzeln / verbindungen in die deutsche kultur?

HJR: Ich habe bis zu meinem Wechsel von der Heilkunst zur Tonkunst unzählige Bücher gelesen / Musiken gehört, war immer an allem äußerst interessiert was Kultur bedeutet.
Aber bekommt man nicht die eigene Kultur sowieso im Blut mit, wenn die Familie über so viele Generationen hin im gleichen Sprachraum lebt und deren Mitglieder darin künstlerisch/pädagogisch sozusagen bereits über"Jahrhunderte" hin tätig gewesen sind ?

Q: gab es fuer sie damals ueberhaupt noch wurzeln / verbindungen in die deutsche kultur die sie fuer ihre musik fruchtbar machen konnten / wollten - oder war das grundgefuehl: jetzt einen neustart machen, und zwar so radikal wie moeglich? war die "szene" sehr politisiert? stichwort: studentenbewegung, generationenkonflikt etc.

HJR: Diese Politisierung / Radikalisierung war DIE Basis für die Neuorientierung in der Kunst und für die Künstler in dieser Zeit,aber ich selbst war eigentlich"nur" an der Erforschung und Nutzung von elektrisch generiertem Geräuschen / Tönen / Klängen,bzw.jeglichen Geräuschs zu musikalischen Zwecken interessiert ( und bin`s immer noch), ich habe mich in die Arbeit gestürzt, mich kaum oder selten engagiert in die damalige politische Bewegung eingeklinkt (Demonstrationen mitgemacht etc.), aber am Rande der Bewegung manchmal Kinder ge-/behütet, deren Eltern in den an gewissen Orten permanent stattfindenden politischen Diskurs verwickelt waren ( in der K 1, der politischsten Kommune Berlins z.B. aus der sich Andreas Baader und Gudrun Ensslin später aufmachten um Kaufhäuser anzuzünden).
Ich war schließlich ein gebranntes Kind und deshalb nicht besonders motiviert, nach Außen hin Stellung zu beziehen, ich verpackte meine Erfahrungen lieber in Geräuschcollagen, bzw.lebte einfach ein Kommunardenleben, egal wie schwierig und seltsam das für mich war, als Älterer, bereits durch die Kriegs- und Nachkriegs-und DDR Erfahrungen beanspruchter Menschling.

Q: war die elektronik auch ein mittel sich bewusst von den vorherrschenden anglo-amerikanischen stroemungen abzusetzen, einen eigenen ausdruck zu finden?

HJR: Mag sein, mag für diejenigen gelten, die die Strömungen in der damaligen Weltmusik verfolgten, aber für mich war es "am einfachsten" in dieser völlig neuen Klangwelt herumzuabenteuern, natürlich auch, weil ich das Handwerk ja von der "praktischen Picke" auf erlernen mußte, da ich Autodidakt war.
Aber es handelte sich nicht nur um klangliches Neuland, das betreten werden wollte, es ging um einen völlig anderen, neuen Zugang zu Musik, um eine totale Veränderung dessen, was bis dahin als Komposition bezeichnet wurde, darum, dass an der mit den neuen Klangmitteln erarbeiteten Gestalt des Tonkunstwerks, die "verborgene" Gestalt seines Erzeugers genauer "dingfest"gemacht werden kann, dass die neue Tonkunst den Ausübenden weit hinein in die Gefilde der eigenen persona zu bringen imstande ist, das war (und ist) ungeheuer aufregend, wie Therapie, dient der Nabelschau, ist Philosophie vermittelt durch Klang, Dichtung die tönt, Klangbild, Geräuschskulptur, Tonheilkunst.....reine Ton/Geräuschkunst als ein endlich vergänzlichtes Gesamtkunstwerk, unvorstellbar in seiner Wirklichkeit/Wirksamkeit noch zu jener Zeit, als ich von der "praktischen" Heilkunst zur "abstrakten" Tonkunst hinüber wechselte.

Q: und wie bewusst war die entscheidung ueberhaupt, sich eine eigene musik, einen eigenen ausdruck schaffen zu wollen?

HJR: Das hat sich selbst entschieden, da gab`s nicht viel "freien Willen" dabei, wenn man davon absieht dass es freier Wille war, sich für dieses Abenteuer zu entscheiden und trotz gewisser Überlebensprobleme in/mit dieser Klangerforschnung "dabei" zu bleiben.

Q: waren die werke und experimente von z.b. Stockhausen und Henry - wie es Konrad Schnitzler es sich fuer sich beschreibt - von wichtigem Einfluss?

HJR: Weniger Stockhausen in meinem Fall, wohl aber Henry, Xenakis, Ives, und frühe Amerikansiche "Pop,Rock,Psychedelic Experimentalisten" wie "hap hash and the coloured coat", "The Third Ear Band" und später Don van Vliet (= Captain Beefheart), Roxy Music, Brian Eno, Robert Fripp, aber ohne,daß wir/ich deren Duktus übernommen hätten. Sie haben einfach wie wir Neuland erforscht, waren Brüder im Geist und wir hörten sie gerne.
Wir waren uns von Anfang an immer selber Vorbild , mit jedem Werk haben wir unsere Authentizität / Originalität unter Beweis gestellt, kaum etwas in der Europäischen, bzw.zeitgenössichen Weltmusik ähnelt der Kluster/Clustermusik und Teilen meiner Solo-Musiken.

Q: Berlin gilt vielen in der rueckschau als einer DER geburtsorte der elektronischen musik - kannten sich die musiker damals wirklich alle untereinander - gab es das gefuehl einer (wenn auch vielleicht nur vagen) verbundenheit, durch die arbeit an einer ganz neuen musikform? gab es einen regen austausch untereinander, diskussionen, jam-sessions...?

HJR: Ja es gab regen Austausch vor allem im Zodiak, das ja eines der wichtigsten Begegnungsorte in Berlin war, ein artslab, dem damals bereits berühmten Londoner artslab in der Popularität gleich, oder der New Yorker Factory und es gab ein Gefühl der Verbundenheit, natürlich, denn, egal was jeder Einzelne oder jede Gruppe machte,es geschah in dieser Aufbruchszeit,unter dem Zeichen der sich verändernden Paradigmen.

Q: Welches waren ihre musikalischen aktivitaeten und mitstreiter vor der arbeit mit Kluster?

HJR: Ich tingelte mit Glöckchen an den Füßen, mit Flöten und Trommeln durch Berliner Kafeehäuser,man traf sich da und dort mit Gleichgesinnten / Gleichmotivierten und "jammte" miteinander, bevor ich Schnitzler traf, das war aber, als ich noch meinen Lebensunterhalt als Privatmasseur verdiente.

Q: Wie kamen sie mit Konrad Schnitzler und Dieter Moebius zusammen?

HJR: Irgendwie liefen wir uns über den Weg. Schnitzler hat dann ja mit seiner Fähigkeit Talente auszumachen, Moebius aus der Küche eines Steakhauses geholt, ihm die Tür in die Welt der Kunst geöffnet, um mit ihm und mir dann schließlich Kluster ins Leben zu rufen (und damit den Beginn jener Bewegung zu markieren, in welcher wir alle immer noch unsere Plätze besetzen.)

Q: Koennen sie kurz den ZODIAK KLUB beschreiben, und die leute die ihm die wichtigsten impulse verliehen? wer trat auf / wie liefen die konzerte / performances ab? wer war das publikum - wie waren die reaktionen? war der klub in sachen musik rein auf elektronische musik + experimente ausgerichtet?

HJR: Das Zodiak war Schnitzlers (und Boris Schaaks) Idee. Vom Styling her ausgeführt worden ist es dann anfangs von Konrad, Boris, Elke Lixfeld (um die Wichtigsten zu nennen ) und mir (der ich aber erst nach diesem Styling dazukam,weil ich mich zu der Zeit, als gebaut und angestrichen wurde, in Paris "herumtrieb").
Es traf sich hier alles,was in Berlin in der freien Szene zugange war, Theater, Free Jazz, Hardrock, Psychedelic music und wir. Zeitweise spielten gleichzeitig mehrere Gruppen in dem einen grossen, schwarz ausgemalten Theater-Raum den es gab, auf, teilweise mit, aberauch manchmal gegeneinander, (wenns partout nicht klappen wollte, mit irgendeiner sinnvollen Form von "Harmonie").
Die einzige Ausrichtung, die es gab war : Alles ist erlaubt, jeder kann sich mit dem präsentieren, was er für vorzeigbar hält, kann mit jedem spielen, diskutiert wird rund um die Uhr, der Laden war immer proppendickevoll. Alle spielten hier, Klaus Schulze, damals noch als Schlagwerker, Tangerine Dream als psychedelische Rockband, Ash Ra Tempel, Agitation Free usw. Und viele Bands die gerade in Berlin waren,schauten rein und machten mit. Schnitzler hat die Szene, bevor wir den Laden dicht machen mußten (im Frühjahr 1969 ),verlassen, und die Leute von Human Being, einer Musikkommune,die Boris, Elke und ich mit einigen anderen Leuten gegründet hatten, übernahmen das Programm vollinhaltlich.
Die Reaktionen seitens des Publikums waren überwältigend positiv : Wie gesagt : es war meistens bummsvoll.
Eine Tatsache muss an dieser Stelle erwähnt werden: Das Zodiak war sozusagen das (natürlich inoffizielle) Kellertheater der "Schaubühne am Halleschen Ufer", irgendwie die Probebühne mit dem direktem Realitätsbezug, der Ort in welchem sich das Chaos in Szene setzte, während im Stockwerk darüber Peter Stein neue Maßstäbe in der Theaterkunst setzte. Aber Steins Publikum sorgte mit seinem Protest gegen "die unhaltbaren Zustände" in und vor dem "Kellertheater Zodiak", (man rauchte dort ungeniert joints und gab sich oft zu leger) an dem es bei seinem Weg zu den Vorstellungen in der Schaubühne vorbei mußte,für dessen Schließung im Frühjahr 1969.

Q: Wer waren die mitglieder von HUMAN BEING - und wie lassen sich ihre Experimente, Klangforschungen und Konzerte in der Rueckschau beschreiben?

HJR: Ich kann mich nicht an alle Namen erinnern, Nucleus jedenfalls waren, Boris Schaak, Elke Lixfeld, meine Wenigkeit, dann kamen mit wechselnder Anwesenheitsfrequenz ein Amerikaner mit Vornamen Broderick, die Mädchen/Frauen Verena, Beatrix (und noch eine Frau,deren Namen mir nicht mehr geläufig ist), und noch ein anderer männlicher Mitspieler, der Orgelbauer Christoph Sievernich dazu, insgesamt waren etwa immer acht Leute sowohl in der Wohnkommune als auch im Zodiak miteinander zugange.
Es wurde mit allem experimentiert was Krach macht, der Gebrauch der menschlichen Stimme hatte oft Vorrang vor anderen Geräuschen,es wurde viel getrommelt, bzw.mit percussion gearbeitet, Rückkopplungen wurden musikalisch nutzbar gemacht etc.

Q: sie erwaehnten Boris Schaak - wie sie sagten: "...ein Name,den bisher niemand ausser Konrad Schnitzler genannt hat - der verdient ein eigenes Kapitel." - koennten sie kurz seine arbeit, seine rolle in der geschichte beschreiben?

HJR: Horst Rainer (Boris) Schaak, war ein im Privaten äußerst zurückhaltender fast scheuer Mensch,aber als öffentliche Person,auf andere Weise als Schnitzler, ein "Provokateur" in Sachen Kunst, eine Institution, ein merkwürdiger Meister im Aufbruch zu neuen Ufern in der Kunst der Lebensbewältigung.
Mit grellem Humor und beißendem Zynsimus brachte Boris Bewegung in die damalige unabhängige Berliner Kunst-Szene, jeder, mit dem er in Berührung kam, war auf irgendeine Weise fasziniert von ihm. Mir kam er vor wie die Wiedergeburt eines wandernden Mystikers aus dem Orient, dessen Ratschläge aber nicht aus dem "bodenlosen" Reservoir spiritueller Schätze kamen, sondern aus der Mitte praktischen, realen Lebens.
Er war der lebendige lustige Kontrapunkt zu all den sogenannten Meistern, denen ein großer Teil der Berliner Jugend (Hippies) damals ergebungsvoll die Füße leckte. Er war "die Mitte" von"Human Being", und ist ein bis dato unerkannter Meister der Musik, weil ihm nichts an Öffentlichkeit lag und liegt.

Q: Ueber Konrad Schnitzler - und somit wohl auch ueber den ZODIAK Klub, gab es sicher starke verbindungen zur bildenden kunst. beim "erweiterten klangbegriff" denkt man automatisch an Beuys' erweiterten kunstbegriff. waren / sind diese verbindungen fuer sie von belang gewesen? und was waren ihre bevorzugten mittel, den klangbegriff zu erweitern?

HJR: Konrad war Schüler von Beuys und natürlich von diesem erheblich beeinflußt, was nicht nur den "äusseren" Niederschlag darin fand,dass Kluster fast ausschließlich in Museen, Kunsthallen etc.auftrat. Konrad konnte und wollte, im Gegensatz zu mir, der ich damals keinen Wert darauf legte, Manifeste zu verfassen, seine intellektuelle Affinität zur Kunst dieser Zeit nicht verleugnen und hat dies auch deutlich gemacht (siehe unten). Wenn es einen Klangbegriff gab, der erweiterungsbedürftig war, dann haben wir ihn rigoros und radikal erweitert, ohne uns aber laut und öffentlich darüber Gedanken zu machen, wenn man von Schnitzlers Manifest zum Klusterprogramm absieht,dass fast zur Gänze aus seiner Feder stammt, (aber lediglich auf einem Beiblatt in der ersten der beiden Veröffentlichungen von Kluster auf dem Schwann-Label zu finden ist).

Q: wie lief - sofern es das gab - ein typisches Kluster konzert ab? war es reine improvisation - gab es kompositionen oder bestimmte muster auf denen man aufbaute?

HJR: Pure Improvisation.
Eine "persönlichere Musik", als die Klustermusik gab und (ich wage es zu behaupten ) gibt es nicht.
Die Geräusche dienten als Mittel zum Zweck der Erkundung und Darlegung der eigenen Befindlichkeit, es ging uns nicht darum, Musik im klassischen Sinn zu komponieren, sondern eher darum, die eigene Lebens-Philosophie über ein klangliches Äquivalent auszudrücken und damit auch für andere erfahrbar zu machen.

Q: woraus bestand in diesen ganz fruehen tagen das instrumentarium - und woher bekam man es? - das war ja sicher nicht immer ganz einfach - und bauten sie sich auch ihre eigenen instrumente, oder manipulierten verfuegbare geraetschaften?

HJR: Alles Mögliche. Selbstgebautes und Erstandenes, alles ziemlich simpel, das dann z.T manipuliert wurde, oder anders als üblich verwendet, Gitarren und Geigen mit Mikrofonen z.B.bestückt, um den elektrischen Zwilling des jeweils erzeugten Geräuschs mit Filtern bearbeiten zu können, oder durch Ringmodulatoren zu schicken.etc.

Q: ich habe verschiedene "theorien" ueber den einbau der texte auf den ersten beiden Kluster-platten gehoert. war das eine bedingung zur veroeffentlichung oder ein bewusstes experiment und statement?)

HJR: Es war (in Absprache mit uns) ein Experiment des Düsseldorfer Kantors Oskar Gottlieb Blarr,der im Auftrag eines sich im Besitz der Kirche befindlichen Verlagshauses (Schwann) dessen AMS label als künstlerischer Leiter betreute, mit welchem sich die Kirche auf den Weg zu neuen musikalischen Ausdruckformen von Religiosität gemacht hatte.
Uns war dabei aber nicht klar, wie radikal/neu das Ergebnis dieses Experimentes damals war. Unsererseits war es eher ein Kompromiß. Ganz geheuer war uns nicht bei dem Gedanken, dass wir der Kirche mit unseren Klanglandschaften eine Stimme gaben ohne je praktizierende Christen gewesen zu sein.
Ich bin heute sehr stolz,daß gerade diese beiden Veröffentlichungen ("Klopfzeichen" + "Zwei-Osterei") unsere ersten überhaupt sind.

Q: wann und warum ging Kluster auseinander?

HJR: Schnitzler war immer der Radikalste, der Erneuerer/Veränderer und er ist es bis heute geblieben.
Moebius und ich tendierten zu einer Balance zwischen den bewährten alten Mustern und den von uns erfundenen neuen Formen/Formeln und : Wir wollten Musik machen, Geschichten erzählen. Konrad brach immer wieder aus und kreiierte Chaos. Was er tat, war immer unvorhersagbar, obwohl wir auch damit zurechtkamen, wenns drauf ankam.
Aber irgendwann divergierten die Anschauungen in den Jahren zu sehr und wir beschlossen, uns zu trennen.

Q: die musik von Cluster begann sich ja, spaetestens nach "Cluster 71", sehr schnell und radikal von den eher industrial-haften klaengen Klusters zu unterscheiden. wie kam es zu dieser entwicklung?
koennten sie die wichtigsten elemente in sachen der klangforschung mit Cluster in einige stichworte fassen? Und war / ist "Minimalismus" z.B. fuer sie ein zentraler begriff in ihrer arbeit?

HJR: Zu meinem Selbsverständnis: Ich habe Musik immer "aus dem Bauch" heraus gemacht, es war und ist für mich dabei selbstverständlich,dass es immer eine Geschichte zu erzählen gilt, egal, wie diese auch aussieht, welche Klangmittel dazu verwendet werden, wie lang oder wie kurz sie ist,welchem Genre zuzurechnen etc..
Alles hatte seine Zeit, so auch das "Industrielle", relativ Plakative, das anfängliche "Klanggedöns" der Clustermusik, es wurde Zeit, "bewußter Musik zu machen", bzw. Geschichten komplexer in der Form und tiefer im Inhalt zu erzählen, ohne Rücksicht darauf, ob tradierte Muster dabei konträr zum Wesen der Urmusik Clusters wiederbelebt wurden.
Minimalismus
war und ist Thema meiner gesamten Arbeit. Reduktion auf die Wesentlichkeit des Geräusches / Tones.

Q: thema leben und arbeit: in den fruehen 70ern, waehrend den entsprechenden veroeffentlichungen von Cluster und Harmonia (+ Eno), wie wichtig war da der fakt nicht nur zusammen zu spielen, sondern praktische eine lebensgemeinschaft zu bilden? wie hat sich das auf die musik, die zusammenarbeit ausgewirkt? (verfeugte Cluster ueber eigenes aufnahme-equipment?) haette sich die musik ganz anders entwickelt, ohne dieses lebens/arbeits-form?

HJR: Sicher nicht. Vieles, aber nicht alles wurde gemeinsam getan.
Zusammenleben? Ja, aber jeder mit der Möglichkeit jederzeit in sein eigenes Refugium ausweichen zu können
Zusammenarbeiten? Aber ja, hauptsächlich aber nach getaner Tagesarbeit und nur, wenn`s wirklich ging. In den (nicht allen, aber einigen Musiken) hat sich das natürlich entsprechend abgebildet. Es war nicht so wichtig, ob wir nun ein eigenes Aufnahmestudio besaßen oder nicht. Es war praktisch, dass wir eines zur Verfügung hatten, da wir immer egal wann, ob tagsüber oder nachts Aufnahmen machen konnten.
Ob es eine solche Musik OHNE DIESE LEBENSFORM hätte geben können? Wer weiß das!

Q: Wie kam der kontakt mit Michael Rother zustande und was war die Idee hinter HARMONIA - d.h. inwieweit gab es konzepte / ideen in welche andere richtung man im unterschied zu Cluster und NEU! gehen wollte?

HJR: Rother kam (als Bote von Klaus Dinger geschickt), um herauszufinden, ob eine Superfusion Neu-Cluster drin wäre. Rother verließ, nachdem er den Platz [Forst, bei Hannover] und uns kenngelernt hatte und wir ihn einluden zu bleiben, Klaus Dinger / Neu!, wohl, weil ihm die Idylle dieses völlig abgelegenen Anwesens an der Weser gefiel,weil wir dort ein einfaches und gesundes Leben führen wollten und weil er meinte,mit Cluster als Harmonia an den Erfolg von Neu!, wenn auch auf andere Weise anschließen zu können. Aber das Unternehmen Harmonia war, ohne dass wir, die Beteiligten, es zu realisieren vermochten, von Beginn an zum Tode verurteilt, weil das Konzept Rothers Clusters innerstem Anliegen, nämlich aus dem Moment heraus mit den jeweils gegebenen Mitteln zu arbeiten, diametral entgegengesetzt war.

Q: "Musik von Harmonia" und "deluxe" sind in grossen teilen sehr unterschiedliche alben. war "deluxe" auch ein versuch einmal das eher pop orientierte potential der eigenen musik auszuloten? (zumindest in 1-2 liedern)

HJR: "De Luxe" ist ein Rother Album und "Musik von Harmonia" war nicht wirklich eine "Gemeinschaftsarbeit", kein Studioprodukt, sondern eine Sammlung von tracks, eigentlich bis auf zwei Stücke, die live-Mitschnitte sind, quasi Solo-Nummern der einzelnen Beteiligten.

Q: Cluster und Harmonia live - wie unterschied sich eine live-performance von der studioarbeit? welche rolle spielte hier die improvisation?

HJR: Klarerweise bei Harmonia mit vorgefertigten Einspielungen und einstudierten Wiederholungen und bei Cluster wie immer mit der Improvisation als oberstem Gesetz sozusagen.

Q: Wie kam der kontakt / die zusammenarbeit mit Brian Eno zustande? welche anderen Elemente hat er evt. in die arbeit / musik eingebracht? hat sich ihre arbeit (produktion / komposition) dabei veraendert?

HJR: Eno wurde uns bei einem Harmonia-Konzert zugeführt und ist später einer Einladung gefolgt, mal bei uns (in Forst) reinzuschauen, weil wir ausprobieren wollten, ob bei einer Studiosession mehr als der Spaß am Zusammenspiel herauskommt (den wir hatten,als Eno bei jenem ersten Treffen spontan in eine Jamsession einstieg). Er hat natürlich seine Producerqualitäten auszuspielen versucht, was aber nicht an- bzw.zum Zuge kam, (siehe das Album "Harmonia 76 - "Tracks and Traces") dem musikalischen Bericht dieser Session. Später,als wir (Cluster) mit ihm bei und mit Conny Plank arbeiteten, kamen die erwähnten Qualitäten voll ins Spiel, vor allem bei der zweiten Produktion, "After the Heat". Aber das Stück "by the riverside", dessen Veröffentlichung Eno sich für sein "Before and After Science"erbat, stammte noch aus den ersten Studio-sessions bei Conny Plank, und war wegen seiner Bescheidenheit ursprünglich für die "Cluster & Eno" Veröffentlichung geplant.

Q: auch wenn Eno immer wieder der begriff oder gar die erfindung der "Ambient"-musik zugeschrieben wird, scheint es mir unueberhoerbar, das er ganz entscheidende elemente vor allem aus der arbeit von Cluster bezogen / uebernommen hat. sehen sie das auch so? (und koennen sie mit dem begriff "Ambient" fuer ihre musik ueberhaupt etwas anfangen? haben / verwenden sie andere begrifflichkeiten?)

HJR: Es ist ziemlich egal, ob Eno nun der Erfinder des Ambient-Begriffes ist, oder ein anderer Zeitgenosse, ob, wann, oder/und wie lange er aus den Erfahrungen mit uns für sich selbst Kapital geschlagen hat. Ich habe von ihm sehr viel gelernt, z.B von vorneherein nicht so viel Material auf die tracks der Mehrspurmaschinen zu spielen, die wir bei Studioarbeiten benutzten,um danach nicht mühsam selektieren zu müssen.
Aber das hat mir auch Peter Baumann beigebracht, der ähnliche Producer-Qualitäten besaß.
Eno, wie Baumann, haben in Forst in Bänder reingehört, die ich mit Selbstportrait-Musiken bespielt hatte, welche im gleichen Zeitraum wie Enos "Another Green World" entstanden waren. Beide haben diese Musiken geliebt und sind sicher davon mehr beeinflußt gewesen, als sie zuzugeben bereit waren. Jedenfalls haben beide angeboten, dass ich diese Musiken mit ihrer Hilfe fertig produzieren könne.
Gott sei Dank ist es nicht dazu gekommen, sondern ich habe sie später in jenem Rohzustand, in welchem ich sie den beiden zu hören gab, via Sky-Records veröffentlichen können. (Was allerdings nur möglich war, weil die Cluster & Eno Studioproduktionen dort erfolgreich waren).
Auf diesem Umweg war Eno ein hilfreicher Geist bei der Veröffentlichung dieses Materials. Konkret hat er später z.B mit der Bereitstellung von Produktionskapazität für "Fortress of Love" oder mit der Zustimmung zur Veröffentlichung von bestimmten tracks auf der Produktion "Theaterworks" und der gesamten Produktion von "Tracks & Traces" dazu beigetragen, dass ich weiterarbeiten konnte, sodass es in der Kontinuität / Chronologie meiner Veröffentlichungen auch mit seiner Hilfe keine allzu großen Brüche gab.

Mit Baumann sind dann drei, inhaltlich und formal überzeugend homogene Produktionen entstanden, die aber eigentlich jenes Selbstportrait-Material von mir zum Anlaß/Vorbild hatten, das ich einst Baumann in Forst zu hören gab. Ambient ist kein Begriff, der meine Musik ausreichend beschreibt.
Ich bezeichne meine Musik als "Kammermusik", als Tongedichte zur Kontemplation empfohlen im stillen Kämmerlein, zu lesen wie ein gutes Buch, mit Muße aber auch (manchmal jedenfalls, wie bei den sinfonischen Dichtungen) mit Ausdauer. Bewußt habe ich den Titel "Der Innenlauscher" zum Thema einer von mir beabsichtigten fotografischen Ausstellung gewählt, bei der die Selbstportraitmusiken eine wesentliche Rolle spielen werden.

Q: in welchen der seit den 70er jahren entstandenen musikrichtungen finden sie die spuren und einfluesse ihrer eigenen arbeiten am deutlichsten wieder?

HJR: Wenn ich Zeit dazu hätte, genauer zuzuhören, was sich da bisher so alles entwickelt hat, könnte ich es vielleicht sagen.

Q: welche anderen deutschen musiker im bereich der elektronisch/experimentellen musik waren / sind fuer sie die wichtigsten / interessantesten?

HJR: Interessant :Oskar Sala, Herbert Eimert, Florian Fricke-Gottschild, Paul und Limpe Fuchs, Konrad Schnitzler, Dieter Moebius, Boris Schaak, Asmus Tietchens, Anton Zinkl, Holger Czukay.......und natürlich Konrad Plank

Q: Welche musiker, die sie schaetzen, haben sich, im sinne eines wichtigen einflusses, konkret auf ihre arbeit bezogen? welche wollten, bzw. haben mit ihnen zusammengearbeitet?

HJR: Soweit ich weiss haben sich auf die Kluster / Cluster / Harmonia-arbeiten : Brian Eno, David Bowie, Julian Cope, Labradford, Autechre, Alex
(The Orb) Patterson, Thomas Fehlmann, Tortoise, Mouse on Mars, Soul-Static-Sound u.v.a. hier ungenannte Musiker/Komponisten bezogen

Zusammengearbeitet habe ich mit : Alexander Czjzek, Jurij Novoselic, Fabio Capanni, Nicola Alesini, Stanislaw Michalak, Dominque Greenberg, Gini Ball, Yuko Matsuzaki, Hiroshi Nagashima, Tim Story, D Diane Timmons, John Rose, Toni Gerber, Alec Way, Eric Bonerz, David Bickley, Toni Morley, Noel Hill, Onnen Bock, Carsten Schnell, Artur Lason, Arjen Uitenboogaard, Coen de Neef, Tjitse Letterie, Bratko Bibic and the Madleys, Artemij Artemiev, Christoph Bühring-Uhle, Alquimia, Felix Jay, Andrew Heath, Thomas Johnstone-Grenas, Paul Fox, Konrad Plank
Produktionen mit : Brian Eno,(drei CD-Produktionen ) Alex Paterson, (eine vinyl ), Autechre (ein live-concert),Thomas Fehlmann, (vinyl),Alquimia (eine CD bisher und live-Konzerte),Mani Neumaier, (eine LP-Produktion), Ax Genrich (eine LP-Produktion)
und die Produktionen mit Schnitzler, Moebius und Rother natürlich.

Q: wie wichtig ist die elektronik fuer ihre heutige musik? versuchen sie immer auf dem neuesten stand in sachen elektronischen instrumentariums zu bleiben? welchen stellenwert raeumen sie der (musikalischen) technologie an sich in ihrer eigenen arbeit ein?

HJR: Ich benutze (immer noch) ein mir vor etwa 12 Jahren von der Wiener Alban Berg-Stiftung zur Verfügung gestelltes,semiprofessionelles analoges Aufnahme-equipment (1/4 Zoll 8 Spur-Fostex) nebst einem digtalen Standaufnahmegerät, mit welchem ich demo-master herstelle, die ich in einem professionellen Studio überarbeite und endmastere.
Der neueste Stand würde Investitionen bedeuten,die ich mir nicht leisten kann (und will).

Q: Versuchen sie im bild zu bleiben ueber aktuelle musikalische entwicklungen?

HJR: Ich höre natürlich verschiedenes (wenn auch eher per Zufall ) im Radio, oder höre bei mit mir befreundeten Musikern was sich momentan innerhalb der zeitgenössischen Musik entwickelt. So war ich z.B. gerade in England bei den verschiedensten Musikern zu Besuch, die mir jeweils das Neueste aus ihrer Produktion vorgespielt haben, bzw. denen ich beim spielen zuhören konnte. Darunter befanden sich Musiker / Komponisten, die ausschliesslich fürs Fernsehen arbeiten ( Documentaries / Features etc.), rein praktisch / live kreative - wie Percussionisten, Obertonstimmensinger, Klavierspieler, SängerInnen etc.und "Studio-Alchemisten", "Computer-Musiker" etc. Ich bin rein zufällig mitten ins Geschehen geraten - weiß jetzt also besser über die Entwicklung in der zeitgenössischen Musik Bescheid, vor allem, weil es nicht irgendwelche Komponisten waren, sondern Spezialisten ihres jeweiligen Fachs.

Q: welche musikalischen felder / richtungen sind heute fuer ihre arbeit die wichtigsten?

HJR: Alle Richtungen,deren Protagonisten sinnvolle / sinnliche / gänzliche Musik produzieren.

Q: der geringe kommerzielle erfolg und die - gerade im vergleich mit der resonanz im ausland - sehr geringe beachtung / wuerdigung ihrer musik hierzulande - welche gruende sehen sie?

HJR: Zum Einen wird sie nicht genug und gerade nicht von jenem Medium aus verbreitet, für welches sie gewissermaßen "wie gemacht" ist, dem Radio,aber auch sonst läßt die Publizierung dieser Musiken sehr zu wünschen übrig. Sie ist keine einfache Musik/Kunst, obwohl sie einfach genug ist, um relativ "reibunsglos" rezipiert werden zu können.
Sie ist einfach aber vielschichtig, sehr divers in den Formen,von elektrischer Kammermusik über elektrische Sinfonische Musik, von simpler-, rein akustischer Klaviermusik bis zu akustischen Ensemble-Musiken, Liedern, Gedichtvortrag, Traktat-ähnlichen Publikumsbeanspruchungen etc. Dieses an sich in sich geschlossene Werksganze hat aber dadurch, dass es bisher sowohl (selten) von Majors als auch über viele kleine bis winzige Label in aller Welt veröffentlicht worden ist, auch nur jeweils jene Öffentlichkeit ereicht, die von den jeweiligen Labels erreicht wird und das ist im Prinzip eine ganz unterschiedliche Klientel.
Aber allmählich beginnt sich das Bild zu vervollständigen,das dieses jeweils "andere" Publikum von mir, bzw.der Gesamtheit meines Werkes bisher hatte, wozu u.a. auch das Internet erheblich beiträgt, (auch weil ich via mp3.seit neuestem veröffentliche, nicht nur weil es eine homepage gibt oder die Eintragungen zu Hunderten auf den Bildschirm purzeln, wenn man Roedelius in die verschiedenen Suchmaschinen eingibt).

Q: im rueckblick auf ihre sehr umfangreiche bisherige arbeit, die vielfaeltigen musikalischen experimente, koennen sie kurz die fuer sie wichtigen konstanten und charakteristika benennen?

HJR: Konstanten mögen meine Familie, meine grundsätzlich positive Einstellung zu jener oft scheinbar "unerträglichen" Widrigkeit, die wir Realität nennen, sein, mein Glauben daran, dass es, wenn wir nur darum zu bitten lernen, einen Ausweg aus dem Dilemma unserer momentan immer noch offenkundigen "Unvollständigkeit" in Sachen Respekt vor der Würde des Anderen, vor der Natur und ihren Gesetzen gibt.

Q: koennten sie aus der wahrlich langen liste ihrer veroeffentlichungen jene auflisten, die sie selbst fuer die wichtigsten halten?

HJR: Alle Selbstportraits (momentan erscheint gerade in Amerika Nummer 8) /
die beiden bisher veröffentlichten "Sinfonien" ( Nr.1 "Von Zeit zu Zeit", veröffentlicht bei BSC/Prudence/Deutschland,und Nr.2."La Nordica - Salz des Nordens" veröffentlicht bei"Multimood"in Schweden /
"Tace"und "Pink, Blue and Amber" (beide BSC/Prudence) /
"Lustwandel" (Sky-Records/Deutschland/Caroline/USA) /
"Piano Piano" (Materiali Sonori /Italien )
"Variety of Moods" (Nova Era/Spanien )
"Jardin au Fou" (Capt.Trip/Japan )
"Aquarello"( All Saints/England/Thirsty Ear/USA,
"Roedeliusweg"(BSC/Prudence)
"Move & Resonate" (ebenda)
"Drive" (Biosphere/Tokyo/Rykodisc/London)
"Gift of the Moment" (EG/Virgin/London)
"Vom Nutzen der Stunden - Lieder vom Steinfeld" Vol.I & II usw.
"Cluster 71"(Sky Records)
"Cluster II" (Spalax/Paris )
Cluster Live in Japan" (Capt.Trip/Tokyo/Soul-Static-Sound/London)
"Klopfzeichen" (Kluster / Cleopatra/Hypnotic/USA)

salute - Joachim Roedelius - 16.10.2000

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