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|> Interview: Holger Czukay [CAN]

von Knut Gerwers | 8/98


KG: Was wird beim CAN Festival passieren (das 30 Jahre CANniversary - mittlerweile auf 1999 verschoben), welche Plaene gibt es?

HC: Eigentlich steht nur fest das das ganze Projekt von mir und GVOON stattfindet.

dazu Arthur Schmidt von GVOON:
Es wird anderthalb Stunden reines Entertainment sein, von Holger moderiert und gestaltet. Der Inhalt sind die Geschichten von Holger Czukay.

Holger Czukay als Gesamtkunstwerk?

Ja - aber mit neuen Visionen - mit anderen technischen Medien, der Versuch Experimente als Entertainment zu praesentieren. Das sind die global visions von Holger Czukay.
Da sind virtuelle Figuren, die mit ihm sprechen werden, Videos werden gezeigt. Virtuelle Welten, durch die er hindurch navigiert. Interaktionen mit virtuellen Musikinstrumenten, auf denen er wirklich spielt, Sounds erzeugt, wo er mit anderen Musikern zusammenspielt.

Wie lange arbeitet ihr schon daran?

AS: Diese Show bereiten wir jetzt seit anderthalb Jahren vor - also seit dem ersten Kennenlernen von Holger. Davor haben wir Erfahrungen mit virtuellen Welten in anderen Projekten gesammelt. Jetzt haben wir die Strategie soweit entwickelt, das Holger hauptsaechlich an Sounds arbeitet, mit an der Gestaltung und das Ganze immer mehr zusammenwaechst und jetzt sehr stark inhaltlich ausgerichtet wird.
Aber das sind alles Dinge die man live erleben muss und schlecht in Worte fassen kann - und darum auch keine Behauptung aufstellen kann - wollen wir auch nicht. Es ist auch kein Kunstprojekt mehr - auch keine Selbstvervielfaeltigung, sondern eine konkrete Show mit einer konkreten Dramatik.
Momentan arbeiten wir haupsächlich mit Holger zusammen und konzentrieren uns auf dieses Projekt.

HC: Die Idee beim CANniversary ist ja, dass zum 30 jaehrigen Bestehen jeder mal seine jetzige 'Familie' vorfuehrt.

Werdet ihr auch untereinander wieder zusammenspielen - so wie Michael Karoli jetzt mit Damo Suzuki auf der US-Tour?

Naja, das ist ja fast noch die alte Schiene.
Bei mir ist das so, ich habe immer gedacht, CAN kannst du nur wieder zusammenbringen mit einer voellig neuen Aufgabe. Sie mit etwas konfrontieren, das sie gar nicht kennen, sodass sie in den Zustand versetzt werden, wie das frueher war. Und das waere hier bei dem Gvoon Projekt moeglich gewesen, weil ich schon dafuer gesorgt habe, dass die alten (Muell)-Qualitaeten von CAN wieder aktiviert werden - auf diese Schluss-Chaos-Strecke haetten die sich sehr gut eingereiht - da waeren sie auch richtig mitgezogen.
Ich habe das auch jetzt bei Brian Eno gesehen, mit dem ich gestern auftrat. Auch er hat sich erstmal vorsichtig eingebracht, indem er sich selbst hat mitziehen lassen durch Loops usw. - und erst spaeter stieg er richtig ein, nachdem er sozusagen andegockt war. Das waere auch beim Gvoon Projekt moeglich.

Sind das die Parallelen die du siehst zur Arbeitsweise von CAN?

Ja, klar. Nur bei Gvoon arbeite ich jetzt auch mit anderen Leuten. Oder damals mit Dr. Walker, die 'Clash' Platte, die waehrend der USA Tournee entstand, das war ja Can in die 90er Jahre transportiert, denn genau so haben wir uns beide verhalten. Es war eine ganz spontane Geschichte.

Was ist fuer dich das herausragendgste an CAN in Punkto Klaenge und Arbeitsweisen?

Also CAN hat schon Masstaebe gesetzt in Bezug auf die Konzepte und Strategien aus dem Nichts heraus etwas zu schaffen - eine ganz organische Vorgehensweise.
Wir haben Teamarbeit gelernt, wir haben Muellqualitaeten zu schaetzen gelernt - das war wirklich ein Markenzeichen von CAN, was jetzt in den 90er Jahren ganz klar wieder aktuell wird. Soviele Leute entdecken jetzt diese Muell-Qualitaet und koennen ihr etwas abgewinnen.
Letzten Endes haben wir die Medien ganz anders verstanden als man das bis dahin machte. Z.B. die Vorgehensweise, das wir uns staendig aufgezeichnet haben, um es dann wieder neu zusammenzusetzen, hat ja auch jetzt nach 30 Jahren Schule gemacht.

War euch bei dieser "Arbeit aus dem Nichts heraus" dieser geschichtliche Hintergrund, auf den dieser Begriff ja auch zutrifft, bewusst?

Ja, das war uns wirklich bewusst.

War euch auch eine Schnittstelle, eine Parallele zu Kraftwerk bewusst, habt ihr sie damals im Auge gehabt?

Kraftwerk war bei uns fast jeden Tag zu Besuch. Damals, noch bevor sie Kraftwerk hiessen, sind sie immer gerne zu Sessions vorbei gekommen und ich weiss noch wie Michael (Karoli) mal zu mir gesagt hat 'Holger, ich glaube, von denen werden wir nochmal was hoeren.'.
Wir konnten ja damals noch nicht wissen wer das genau war. Wir waren ja alle Niemands. Aber man merkte das schon - bei der Teilnahme an so einer Session erkennst du sehr schnell, ob jemand was kann, oder nur Platitueden von sich gibt. Und der Ralf Huetter, was er von sich gab war knapp, aber es hatte auch eine gewisse Brisanz.
Nun war CAN vom Konzept her sehr offen und bei Kraftwerk war es eigentlich ein sehr festgelegtes Konzept - eigentlich das genaue Gegenteil. Darin unterscheiden wir uns sehr.

Es ist auch kein Wunder, das bei der ganzen Hip Hop / Trip Hop Geschichte, wo Rhyhtmen eine ganz besondere Rolle spielen, das man da zwangslaefig auf CAN gekommen war. Denn man hat ploetzlich gelernt, so mit Rhythmen umzugehen, das es lebendige Rhythmen waren, wirklich lebendige Rhythmen - im Gegensatz zu Techno. Bei diesen Rhythmen kommst du an CAN nicht vorbei. Das war eine unserer Hauptbeschaeftigungen, unserer Staerken.

Habt ihr vom Hintergrund euerer klassischen Ausbildung etwas davon aufgenommen und weitergefuehrt, oder habt ihr eher dagegen gearbeitet? Auf Stockhausen beziehst du dich ja des öfteren. Damals, kann ich mir vorstellen, ging es vielleicht eher darum von dem Ganzen wegzukommen.

So ist es. Wir wollten mit all dem gar nichts zu tun haben. Wir hatten mittlerweile viele Kuenstler kennengelernt, die sich 'nen Button angeklebt hatten, sich hinstellten und sagten, 'Wir sind Kuenstler.' Da haben wir gesagt, 'Wenn Du Kuenstler bist sind wir keine.'.
Und damit sind wir dann den Weg ganz anderen Weg gegangen den unabhaengigen Weg, sozusagen, und nach 30 Jahren CAN kommen wir automatisch dahin zurueck, wo wir mal hergekommen sind. Das haengt sehr stark mit den Inhalten zusammen, die man praesentiert und welcher Typ du bist.
Ich selbst habe nie diese Sache mitgemacht, dass ich Schnellproduktionen gemacht habe. Eine Schallplatte dauert bei mir manchmal Jahre. Wenn man es vom Verdienst-Standpunkt her betrachtet, ist das kein Geschaeft, jahrelange Arbeit in ein Produkt zu stecken, von dem die Plattenfirma dann sagt, es laesst sich doch nicht verkaufen. Das ist doch Bloedsinn - und trotzdem mache ich das. Und auf die Zeit hin hat sich das ausgezahlt - auch bei CAN.
Denn dadurch das wir nie kommerziell gedacht auch haben - ueberhaupt nicht, hat sich das jetzt ueber die 30 Jahre hin wirklich ausgezahlt.

Wir haben alle Rechte auf unsere Musik - alle unsere Platten sind draussen. Wir besitzen eine eigene Plattenfirma und sind weltweit vertreten durch einen guten Vertrieb.
Also, wenn du es unter diesem Gesichtspunkt siehst, besser kann es einem eigentlich gar nicht gehen, als das man voellig unkommerziell ist. CAN sind das Beispiel dafuer, gnadenlos unkommerziell zu sein.
Darauf sind wir besonders stolz. Ich erinnere mich da zum Beispiel an zwei Dinge, an zwei Hallen, die wir bis auf Mann und Maus leer gespielt haben. Da war niemand mehr. Die Sache mit David Niven war die eine, und die andere war eine Einladung von der SDAJ, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend in Stuttgart. Da haben die naemlich 'Die Internationale' gesungen, da ist mir fast das Herz in die Hose gefallen.
Da habe ich gadacht, diesen Ungeist hier herauszufegen, das geht nur mit einer Gewalt-Kur. Nachher war NIEMAND mehr da. Wir waren alleine in dem Bau, das war toll.

Siehst du die ganze gegenwaetige DJ- und Remix Kultur auch als eine Fortfuehrung speziell von deiner Arbeit im Studio, deine Herangehensweise das Studio als eigenes Instrument zu benutzen sowie deinen Schnitt und Cut-Up Techniken? An deinem Namen kommt man ja nicht vorbei, wenn es um Sampling geht.

Das Sampling habe ich eindeutig erfunden.

Also schon mit 'Canaxis' von 1968?

Das ist die erste Samplingplatte.

Sind fuer dich die ganzen Remix - Live-Sampling-DJ-ing Geschichten eine Fortfuehrung davon?

Die ganze Remix-Kultur ist eine der Kunstformen der 90er Jahre, das muss man einfach verstehen. Ich finde es sehr aufregend, das man aus einem Interface, aus einem Gesicht etwas Neues, neue Gesichter schafft.

War es eure eigene Idee "Sacrilege", die CAN Remix Platte, zu machen, oder sind soviel Leute an euch herangetreten?

Wir wurden gar nicht gefragt. Die Hilgedard Schmidt, unsere Managerin, hat das mit Daniel Miller von Mute Rec. abgesprochen. Es hat lange gedauert bis es auf den Weg gebracht war und ich muss sagen, er hat auch gute Leute dazu gekriegt, sich zu beteiligen.
Es sind auch sehr unterschiedliche Gesichter dabei herausgekommen - das ist immer etwas, das mich sehr interessiert.
Ich lerne viel von diesen Leuten. Nicht umsonst arbeite ich gerne mit jungen Leuten zusammen - deswegen bin auch mit Dr. Walker zusammen auf die Buehne gegangen. Wir haben gesagt, das Konzept ist doch ganz einfach: Du bereitest dich vor und machst deine Geheimnisse und ich mach meine Geheimnisse. Jeder hat sich hingesetzt und auf der Buehne haben wir die Katze aus dem Sack gelassen. Das ist fuer jeden eine Ueberraschung - fuer uns, als Spielende, die dann nicht verhungern auf der Buehne und gleichzeitig fuers Publikum. Das war schon ein tolles Ding.
Als das der Brian Eno hoerte, sagte er, Er faende das genial, so auf die Buehne zu gehen. Das war fuer mich auch das erste mal wieder auf der Buehne nach 20 Jahren.

War es euch damals wichtig den Gedanken an die eigene, deutsche Identitaet im Kopf zu haben?

Jedem Menschen liegt daran eine Identiat zu haben - wenn ich dich z.b. jetzt nach 20 Minuten wieder auf der Strasse treffen wuerde und du kaemst und sagtest, 'Ach Holger, erinnerst du dich noch an das Interview das wir gerade gefuert haben?' und ich wuerde sagen, 'Hoer mal, in diesen 20 Minuten, habe ich 123 Leute getroffen, die genauso aussahen wie du und noch schlechter. Ich kann mich an nichts mehr erinnern.
Wuerdest Du das gut finden?
Ich kenne ueberhaupt niemanden, der das gut faende.
Aber trotzdem verhalten sich Menschen manchmal genau so. Ist das nicht irre?

Das heisst die Identitaetsfindung finde ich wirklich wichtig ... - da hatte der Ralf Huetter vollkommen recht. Meines Erachtens aber, ist die erst in den 90er Jahren richtig hervorgetreten. In den 90er Jahren wurde hier die Stunde Null geboren, fuer die Deutschen.
Damals konnten wir uns nicht mehr auf Inhalte berufen - wir konnten uns nicht auf Rock 'n' Roll berufen, nicht auf dieses oder jenes. Wir waren eigentlich traditionslos, das war das Nachfolgeereignis, das Ergebnis des Krieges.
Aber eins konnten wir - in den 90er Jahren konnten wir in der Tat mit der Stunde Null durch die Elektronik anfangen. Da hat sich dann ploetzlich eine ganz eigene Sprache entwickelt, die auch in der ganzen Welt gehoert wird. Das ist kein Wunder - und das war noch nicht in den 70er Jahren, auch wir waren das nicht in den 70ern.


Glaubst du, das sich in der Elektromusik der 90er die globalen Einfluesse eher mischen?

Also, alleine, wenn es um die Samples geht - was ist das fuer ein Unterschied wer welche Samples macht! Ob du die Samples kaufst, ob du sie selber herstellst - oder wie sehen die eigentlich aus, wie setzt du sie dann zusammen?
Was ist denn das eigentlich, Musik? Ist das wirklich nur eine Maschinensprache? Oder ist es eben doch eine Summe von menschlichen Entscheidungen?!
Es ist wichtig, das man ueberhaupt entscheiden kann.
Eno ist zum Beispiel der Typ, der sagt 'Ich will mich ueberhaupt nicht entscheiden, sondern eigentlich will ich mich vollkommen frei lassen.'
Und ich sage noch dazu: mit dem Minimum dessen, was noetig ist, auszukommen.
Beide Herangehensweisen sind ja faszinierend. Es ist ja nicht, als wenn man das Eine gegen das Andere ausspielt, das waere dumm.

Ist das Konzept des Minimalismus, das gerade in den Anfangstagen von CAN sehr stark war, noch ein wichtiges Kriterium fuer dich, oder hat es an Wichtigkeit verloren?

Die Musik entsteht doch ueberhaupt erst durch Reduzierung. Es entsteht ja nicht, indem man draufballert, sondern es ist das genaue Gegenteil. Etwas zuballern geht ja auch ganz schnell. Ich habe das auch festgestellt im Gespraech mit der Firma, die diese virtuellen Gestalten herstellt, die in dem Projekt, das ich mit Gvoon plane, auftauchen sollen. Also die Holger Czukay Figuren von vor 30 Jahren, mit denen ich mich selbst unterhalten will.
Wir sind zu der Firma gegangen und haben gefragt, wie kann man das machen? Die sagten, das ist sehr teuer und kostet sehr viel Zeit.
Das Scannen der Gesichtszuege selber geht ganz schnell, aber da sind dan so viele Daten enthalten - die muessen reduziert werden. Und diese Reduzierung bedeutet eine Entscheidung herbeifuehren. Das ist teuer - das kostet Zeit.
Wegnehmen - das ist typisch fuer Eno - und das ist auch typisch fuer CAN - fuer mich sowieso, in ganz besonderem Masse. Also, es ist nach wie vor sehr wichtig.

Wie weit haben sich deine Arbeitsprozesse seit 'Movies' veraendert? Das ist ja auch ein Meilenstein - nach dessen Hoeren ich Platten wie "My Life in the Bush of Ghosts" ganz anders eingeordnet habe.

Obwohl die das ja von mir haben.

Eben.
Ich fand deinen Gedanken sehr spannend, das einen neue Technologie auf eine Zeitreise in die Vergangenheit schicken kann - im positiven Sinne.

Also, ich interessiere mich sehr fuer alle neuen technologischen Entwicklungen. Ich sehe das als etwas Positives. Das liegt daran, das ich damit auch wieder in Verbidung bringen kann, was ich frueher gemacht habe. Und es hilft dir auch unabhaengig zu sein, von Leuten, die versuchen dich zu bevormunden.
Ich arbeite gerne in Teams zusammen, in denen man sich gut versteht. Aber abhängig zu sein von Anderen ist etwas, das ich von Anfang an vermieden habe - und das war bei CAN genauso. Deshalb haben wir auch unser eigenes Studio gebaut.
Als die Mehrspurtechnik aufkam, haben wir den Prozess des Aufsplittens der einzelnen Aufnahmen nicht sofort mitgemacht, sondern wir haben uns in die Selbstverantwortung genommen und haben gesagt, also wer jetzt hier ueber die Stränge springt, der verantwortet dann auch das Scheitern eines tollen Produktes, das wir gerade machen.
Das war in der Gesamtverantwortung begruendet - und das war nur solange wirklich moeglich, wie wir keine Mehrspurtechnik hatten. In dem Moment wo wir die hatten, ging ein Teil von CAN verloren, das bedeutet, ein Lernprozess hatte stattgefunden.
Und nun hat sich diese Technik weiterentwickelt - ich habe damals schon ganz schnell diese Schnittechniken als eine Art von Atombombe begriffen, eine musikalische.
Denn jeder VollIdiot, wenn er eben, den richtigen musikalischen Geist hat, kann in der Tat Meisterwerke schaffen. Es war nicht mehr an die manuelle Faehigkeit, wie z.b. im Jazz, gebunden. Und nun kam die Digitaltechnik auf - und in diesem Moment - ich hatte ja auch schon meine Mehrspurmaschine - habe ich die Mehspurmaschine weggetan und heute arbeite ich wieder mit einer total abgespeckten und vollkommen reduzierten Technik.

Was sagst du zu diesem leidigen Wort "Krautrock" - bzw. seiner kuerzlichen Wiederentdeckung?

Ja, das ganze 'Krautrockfieber' - es wurde ja schon hauptsaechlich durch das Buch ausgeloest - - ploetzlich hat man sich erinnert und es kam ins Rollen. Nun war das ja so, das "Krautrock" eigentlich eine Verunglimpfung war. Und du kriegst diesen Begriff heute aus den Leuten nicht mehr raus. In Amerika sind es nur die wirklich aufgeklaerten Leute, die das begreifen, alle anderen sehen "Krautrock" als einen normalen Begriff, wie "Rock 'n' Roll' oder sowas. So ein Begriff ist das ploetzlich geworden.

Kannst Du erklaeren, warum es damals diese explosive Entwicklung in Deutschland gab?

Ja, die Amis haben mir das mal erklaert. Die haben gesagt, wie ist das passiert, das wir etwas gut finden, das vor 30 Jahren passiert ist, und wir haben nichts davon gehoert? Das gibt's doch gar nicht! - Die Amerikaner muessen ja immer von irgendwas schon gehoert haben...

Welche Musiker / Gruppen gefallen dir aus der neueren Elektro Szene?

Da finde ich Aphex Twin wirklich gut. Bei dem merkt man, das ist ein Typ, der ein gutes Umfeld hat, der intelligent ist, der seiner Musik eine Identitaet verpassen kann.
Gut fand ich noch Wreckin' Christ - der heisst eigentlich Luke Vibert. Ich habe selten einen so guten Mann gehoert. Da elektrisiert es mich und ich will wissen, wie er das gemacht hat. ':London is a country' heist die Platte - unglaublich toll, kann ich gar nicht beschreiben - und eine andere Platte: "drum and bass for papa" - das ist ein Hammer. Ich kenne viele Drum 'n' Bass Aufnahmen, die alle gut sind - aber der hat etwas ganz besonders, etwas Magisches. Also, der Vibert ist auch in der Kategorie von Aphex Twin.

Von den neueren deutschen Sachen?

Da fand ich eigentlich Air Liquide und diese ganzen Geschichten sehr gut - was mir aber im Moment auffaellt, das das, war vor 2 Jahren neu war, jetzt alt geworden ist und das die Leute selbst kaum merken, das sie sich selbst mit veraendern.
Das ist auch einer der Gruende warum ich mich den neuen Medien zuwende - weil das noch eine andere Begegnungsstaette ist.

Liegt es auch daran das die Verfallsdaten kuerzer werden?

Die Verfallsdaten werden kuerzer, aber es liegt auch daran, das die Dinge so schnell machbar sind und man selbst eigentlich diese Liebe nicht mehr so reinsetzt und die Zeit und Energie investiert. Der Dr. Walker hat sich sehr gewundert, dass ich an den Live Baendern nochmal so hart gearbeitet habe - das haette er nie getan, sagte er. Er haette sie so genommen wie sie waren.
Ich wusste aber, warum es wirklich notwendig war, nochmal Hand an die Live Baender zu legen - und es hat sich im nachhinein auch gezeigt - aber das konnte er gar nicht begreifen.

Siehst du das als einen Nachteil? Es kommt ja nun, gerade im Elektro Bereich - eine unglaubliche Schwemme von Musik auf den Markt, wo es fast unmoeglich wird, den Ueberblick zu behalten.

Es kommt unglaublich viel raus, ja. Da kann ich nur sagen, du musst darauf achten, das du eine Identitaet bekommst und diese auch haelst. Und dann musst du am Ende auch noch auf deine eigene Rechnung gehen.
Was willst du sonst auch machen? Soll ich jetzt hingehen und mich selbst entwerten? Wuerde ich mir damit einen Gefallen tun? Vermutlich nicht.
Also mache ich das auch nicht. Ich habe jetzt 5 CD's fertiggestellt, nicht eine ist veröffentlicht, bis jetzt. Warum? Weil ich gemerkt habe, das die Firmen nicht drauf anspringen und weil ich weiss, sie sind wirklich erste Klasse und wenn es nicht verstanden wird, macht es nichts. Ich halte sie zurueck und warte auf den richtigen Moment. Das hat sich bei mir IMMER ausgezahlt. Oftmals habe ich eine Platte 5 Jahre liegenlassen.
Also, ich habe einiges in Reserve.
Ich habe zwar ein paar Sachen die ich sporadisch in unseren Web-TV-Server gebe - allerdings nicht zum runterladen - man kann sie nur hoeren / sehen.
Insofern ist es eine gute Moeglichkeit, damit man selber ein Gefuehl dafuer bekommt, wie diese Sachen funktionieren. Und ich habe sehr viel positive Resonanz darauf bekommen.

Ich hatte auf deiner Website schon den Remix von "Get the can" gehoert. Davon wuerde ich ja auch zu gerne mal das Original hoeren. Ich las, das die Studenten an der Uni Wien voellig von den Socken waren, als du Ihnen das Original von 1968 vorspieltest.

Ja, es war wirklich so. Ich sagte, ich haette es gerne, wenn die CAN Leute selber einige Remixe vornehmen wuerden - und spielte ihnen als Bsp. eines geeigneten Stueckes "Get the Can" vor. Sie hoerten es und sagten, 'Lass es doch so, wie es ist - oder mach einen Remix aber vergiss das Original nicht.'. Weil, es ist so beinhart, das hat eine solche Muell-Qualitaet - was man '68 nicht mal im Traum gewagt haette zu veroeffentlichen - jetzt nach 30 Jahren kann man das machen. Das hat die total beeindruckt.
Das zeigt mir aber auch, das es bei einer Gruppe, die sich so entwickelt, da gibt es irgendwann mal den Moment der Wahrheit. Das heisst, wo man sagt, was wollen wir eigentlich, was koennen wir eigentlich. Und wir wussten immer nie, wollen wir 'Neue Musik' machen, wollen wir was anderes Abgehobenes machen, oder wollen wir eine Rockgruppe werden?
Da waren die Weichen noch gar nicht gestellt. Und dann gab es diesen Moment im Studio, wo sich alles ueberschlug. Ich konnte mit der Regelung gar nicht so schnell nachkommen, ich hatte nebenbei noch gar nicht die Aufnahmevoraussetzungen dafuer geschaffen - und dann kam es zu diesem Moment von "Get the Can" - diesem Trash-Opus. Eine fast 20-minuetige Aufnahme, aus dem ich, aus kleinen Fenstern, den ersten Remix gemacht habe. Ich dachte, so kann man das Ding jetzt praesentieren - denn es ist wirklich Underground hoch Underground von damals.

War das sozusagen der Moment der Entscheidung, hin zur Rockgruppe - und daraus entstand dann diese Explosion?

Ja, das ist eigentlich die Geburtsstunde, wo du entscheidest, wo deine Richtung hinfuehrt. Letzten Endes ist es auch das, was CAN bis zum Ende durchgezogen hat: einerseits, das absolut Spontane, andererseits, das nicht-Zurueckschrecken - das das, was man als "schlechte Qualitaet" ablehnt, in Wirklichkeit auch eine gute Qualitaet sein kann. Das ist eine Sache, die wir immer durchgezogen haben, besonders live. Da haben wir oft wirklich gnadenlos geprobt - und das war nicht die schlechteste Musik, die wir da abgeliefert haben.

Wie war die Veraenderung in der Gruppe, als es keinen wirklichen Saenger mehr gab, als Damo ausgestiegen war? War das richtig hart fuer euch?

Ja, das war aeusserst schwierig. Wir merkten, das uns etwas fehlte. Wir mussten nach so etwas wie einem Notprogramm suchen. Michael begann zu singen - aber als ich sah, das das alles nicht so das Richtige war, musste ich zusehen, das ich einen andere Erfindung machte, um den Saenger, den Gesangspart wieder hinzukriegen. Damit war aber der Rest von CAN nicht einverstanden. Das waren Sachen, die hatten sie noch nicht so richtig gecheckt.

Das lief dann auch so langsam auf deinen Split von CAN hinaus...

Ja das lief einfach auch darauf hinaus, das man merkte, es gab verschiedene Interessen.
Die anderen wollten dann auch im Sinne klassischer - oder sagen wir guter Musiker spielen - wir haben den Rhythmusaspekt sehr stark im Auge gehabt - ich hingegen habe auch immer das Ganze gesehen. Deswegen suchte ich auch nach einer Zukunft fuer Can. Das war nicht so einfach.
Das war auch spuebar bei der Produktion von "Rite Time" 1987 - die auch eine gute Scheibe geworden ist - spuerbar. Da merkte ich auch, wie schwer es ist, mit dem was ich mir vorstellte, Fuss zu fassen. Das war keineswegs, das die Tueren da alle offenstanden.

Es war sicherlich auch schwierig, nach so langer Abstinenz voneineander, wieder zusammen zu spielen. Es war ja ein Teil von CAN sehr intensiv und lange zusammen zu spielen - und zu leben - als Probe- und Kompositionsmethode.

Ja, du kannst sagen 9 Jahre intensivsten Zusammen-Seins. Jeden Tag, 12 Stunden. Das ist schon hart.

Wie findest Du eigentlich die Sachen von Faust?

Das war eine Gruppe, die mehr auf den multimedialen Aspekt konzentriert waren, aber sie haben mich nie musikalisch sonderlich interessiert. Meines Erachtens haben sie nie einen richtigen Rhythmus auf die Beine gestellt und dann auch keine richtige Identitaet gefunden. Es waren aber so bizarre multimedia Aspekte, die da drin waren. Von daher, kann ich mir vorstellen, haben die Faust Leute ihre Fans. Ich habe uns schon als eine richtige Vollblut Musikgruppe angesehen.
Wir hatten mit diesen Multimedia Geschichten eher gar nichts am Hut. Die haetten uns damals eher abgelenkt, von dem, was uns wichtig war.

Knut Gerwers | 8/98

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