Claudia Reinhardt

Johnny

veröffentlicht in Dank Nr. 1 (April 1991)

Ich würde gerne einen Film drehen, aber Johnny oder Eddie ist in New York.
Ich begehre ihn mit all meinen Sinnen- und weiß doch, daß er nur sich selbst gehört... Johnny meinte, daß er doch kommen will, er wird verrückt, wenn er mich nicht bald sehen kann. Wenn er nicht kommt, sage ich ihm, daß er es nicht wert sein wird. Wenn er kommt, bin ich nicht bei ihm. Seine Gedanken unterbrechen mich immer wieder. Mein Vergessen ängstigt mich, weil ich mir verzweifelt einen neuen Menschen in meinem Leben wünsche. Ein Beschluß ist gefällt und wieder gefällt. Er verlor Vater und Mutter, während ich nur Vater verlor. Aber ich kann seine Schmerzen trotzdem nachempfinden. Soll ich mich beim Ficken von dieser Person abhängig machen oder soll ich eine geschlossene Einheit bleiben? Auf der Straße sah ich einen Mann, der auf eine Frau wartete. Ich möchte nicht immer von starken Matrosen träumen. Ich habe sie nie gesehen. Ist die Bedeutung von Sex die, daß er die rationale Vernunft sprengt? Johnny sagt, daß er kommt, er hat Geld aufgetrieben. Er ist arm und ich bin arm, deshalb können wir nicht zusammen sein.
Ich warte auf die U-Bahn und denke an Menschen, die sich auf Schienen werfen. Ich phantasiere mir den letzten Augenblick. Dann steige ich vielleicht ein. Hätte er sie nicht verloren, müßte er nicht bei jeder Gelegenheit verzweifelt ein Elternteil suchen, damit er endlich erwachsen werden kann. Da er nun keine Eltern hat, wird er nicht erwachsen. Da er kein Erwachsener ist, gibt es auch keine anderen Beziehungen.
Selbst das Original zu fälschen ist schwierig, selbst dabei drängt sich eigenes auf. Wie unendlich falsch ist es, nicht an ein Ich zu glauben. Wie ist das möglich in meinem Zustand?
Ich lüge nicht, aber die Gesetze müssen so sein, daß sie mit Zustimmung derer abgefaßt werden, auf die sie sich beziehen. Das ist aber nicht der Fall, es legt mir auf und kann mich nicht befriedigen. Ich verachte die Natur, weil sie mich aufwühlt und ihr Recht will.
Wenn man keine Geschichte hat, muß man lügen. Die Lüge ist eine Wahrheit, es kann eine schöne, aufregende Geschichte sein. Du verstehst mich sowieso nicht. Ich will nicht wissen, was du siehst, dann ist alles klar und es erschüttert mich, weil ich isoliert bin. Alleinsein ist mir unerträglich, außer wenn ich arbeite. Denn was ist besser als den Geist zu erschöpfen. Ich habe mich auf den Weg gemacht. Der Weg dorthin war sehr anstrengend. Ich konnte nichts verstehen. Überall Hundescheiße und Dreck. Ich liebe meinen besten Freund, obwohl es unbeschreiblich ist. Ich kann blöde Frauen nicht ausstehen. Allerdings stelle ich fest, daß sie gemocht werden. Blödheit hat nichts mit Intelligenz zu tun. Nicht intelligente Frauen sind die besten Frauen, eine ganze Liste. Die meisten sind aber schon tot. Wenn wir uns nicht über Dichtung verstehen, haben wir keine Chance, aber was ist das Grunzen und Krächzen? Wenn du mich fickst, strengst du dich an, und ich will, daß du kommst. Es kommt uns beiden nie unerwartet und niemals zusammen. Ich erwarte ihn, weil er sagt, daß er sein Ticket verloren hat, aber eine andere Gelegenheit findet. Ich fühle nichts für ihn, wenn er mir keine Aufmerksamkeit schenkt. Ich kann nicht sprechen, weil Eifersucht ein Gefühl ist. Schmerz erhält am Leben, erhellt. Beides ist Lieben und Hassen. Es gibt verdammt wenig zu finden über ein Gefühl. Die Geschichten sind immer viel zu lang, das Wesentliche fehlt völlig. Deshalb verlasse ich mich auf die beschissenen Medien. Ich sage ihm am Telefon, daß ich eine Terroristin bin. Er sagt, daß er seine Schwester, die sehr reich ist, nicht töten kann.
Der Mann auf der Straße hatte nicht auf die Frau gewartet. Ich wußte, daß er nur telefonieren wollte. Ich konnte nicht viel von ihm erkennen, ich hatte keine Ahnung. Es ist völlig egal, ob du den gleichen Humor hast, nur hasse ich manche Männer, die lachen; es ist mir peinlich das zu sehen. Hauptsache es ist ernst gemeint und subjektiv, damit nichts im Halse stecken bleibt. Wie sollen wir über etwas reden und ausgerechnet über mich, wenn du mich erst zehn Jahre kennst?
Ich kann mir nicht vorstellen, mich in eine Krankenschwester oder Philosophin zu verlieben. Ich kann das einfach nicht. Nur ein paar Bewegungen in unendlichen Situationen, ob es gut ist oder egal. Wenn es egal ist, werde ich kurz darüber nachdenken, aber mein Entschluß wird sich nicht wirklich ändern. Wieviel könnte mir jetzt einfallen, wenn ich eine Kleinigkeit vergessen hätte. Ich sollte für eine Woche meine Freundin sein, nicht nur so tun, was müßten wir austauschen, damit dieses Experiment funktionieren kan? Aber es geht nicht. Ich denke, ich unterlasse es in Momenten, wo ich völlig glücklich bin, einsam wegen der Isolation oder weil wir zusammen sind. Wenn ich eine geschlossene Einheit bleibe, ist es das Größte. Wenn ich nicht zerfließe, ist es Stärke, mein Selbstbewußtsein auf höchster Spannung. Wenn ich die Augen schließe, kann es gelingen, diese Spannung auszuschalten wie eine Verdunkelung, die es weiter existieren läßt, aber nicht seh- und spürbar macht. Dann ist es gut, wenn du dich nicht anstrengst und nichts bemerkst. Ich bemerke nie etwas. Nicht weil ich es nicht wissen will, alles will ich jetzt wissen. Ich kann keine Geschichte erfinden, weil ich nicht phantasievoll bin, deshalb erfinde ich sie. Du glaubst nicht an Romantik, deshalb liebst du mich und deshalb haßt du mich. Ich könnte keine bessere Maske tragen als mein Gesicht. Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit und auch diese Zeichen überpinselt mit meine eigenen Zeichen. Ich bin gewappnet gegen den Schwanz des Psychiaters, der leuchtendrot und steif aus seinem offenen Hosenschlitz hervorkommt. Unser Glaube an Andere verrät, woran wir gerne an uns selber glauben möchten. Ich bin mein eigener Verräter, du aber bist mein Spiegel, du bist Wasser, Fluß, Meer, Abgrund. Komm Johnny, laß uns jetzt endlich das Licht ausmachen, schließe die Tür, ich hasse es, nicht das Gefühl zu haben, in einem Gefängnis zu sein. Eddie schließt die Tür und legt sich auf mich und küßt mich bis wir einschlafen.