Sven Severin

Sweethearts of the Rodeo

Von einigen Ausnahmen weitab des Mainstreams abgesehen, befindet sich Country-Musik in einem desolaten Zustand. Kuhjungen wie Garth Brooks sind beängstigend erfolgreich, erregen aber allenfalls Brechreiz und ihre Kolleginnen taugen auch nicht viel mehr. Und nachdem die Cover von Country-Platten zumeist dann am besten ausgesehen haben, wenn man sie in Zeitungspapier eingeschlagen hat, hätte man auf die vom Country-Äquivalent zu MTV offenbarte optische Dimension gerne verzichtet. Aber was soll's, für Leute, die sich bei Anflügen von Trübsinn mit dem Gejammer einer Steel Guitar den Rest geben wollen, hält die Vergangenheit genug bereit.

Eine echte Country Queen ist unschwer zu erkennen. Etwa an einer Stimme, die auch das Heruntersingen eines Telefonbuchs zu einem spirituellen Hörerlebnis werden läßt. Oder daran, daß sie in ländlicher Armut aufwächst und ziemlich oft heiratet. Scheidungen inspirieren Songs ("D-I-V-O-R-C-E") und zeugen von Leid und Kummer. Authentizität ist Trumpf und was besungen wird, sollte durchlebt worden sein. Kennzeichnend ist aber auch eine gewisse Bodenständigkeit ("Howdy, friends"), die sich eine Sängerin wie Tammy Wynette auch dann noch bewahrt, wenn sie ein Anwesen mit 15 Badezimmern bewohnt.

In einem soziokulturellen Umfeld, das sich nicht unbedingt durch Progressivität auszeichnet, hatten es Frauen nicht leicht, sich als professionelle, öffentlich auftretende Entertainerinnen zu etablieren. So waren sie zwar seit den Anfängen der "hillbilly music" als Instrumentalistinnen, Vokalistinnen und Songschreiberinnen präsent, fristeten aber lange Zeit ein Schattendasein in der 2. Reihe (für gewöhnlich - wie Maybelle Carter - als Teil einer Familiengruppe). Sängerinnen dienten, als "girl singers", bis in die 50er Jahre hinein primär dekorativen Zwecken. Nichtsdestotrotz gab es in den 20ern mit Roba Stanley und Billie Maxwell schon einige Solo-Performerinnen. In den 30ern folgten einige "sister acts", die "women only"-"string band" Coon Creek Girls ( "How Many Biscuits Can You Eat?" fragten die), populäre Radio-Entertainerinnen wie die singende Komödiantin Lulu Belle und - Tusch! - mit Patsy Montana der erste nationale Star. Patsy, geb. Rubye Blevins aus Arkansas, verschlug es Anfang der 30er an die Westküste. Nach einer Zeit als "girl singer" bei den Prairie Ramblers kultivierte sie dort (zeitgleich mit den "Girls of the Golden West") das Cowgirl-Image, die weibliche Version der "singing Cowboys". Patsy hatte nicht nur einen tollen Namen, sondern jodelte auch besser als alle anderen und hinterließ mit ihrem "I Want To Be A Cowboy's Sweatheart"- Hit von '35 ein Anti-Depressivum erster Klasse.

Nach '45 begannen Frauen auch im ländlichen Süden in Männerdomänen einzudringen und Entertainerinnen konnten einige traditionelle Rollenzuschreibungen (cowgirl, Komödiantin etc.) abschütteln. Kitty Wells wurde in den 50ern die erste "Queen of Country Music", die den Männern in den Charts ordentlich Konkurrenz machte. '19 in Nashville geboren, trällerte sie erst mit ihren Schwestern im Radio, dann in verschiedenen Shows. '52 ignorierte sie ihren Gospel-Background, adoptierte den "honky -tonk"-Sound und behauptete "It Wasn't God Who Made Honky Tonk Angels" - eine (allerdings von einem Mann verfaßte) Antwort auf Hank Thompsons Klage über untreue Frauen ( "The Wild Side of Life"). Kitty fuhr fort, Hits von Hank Williams u.a. aufzugreifen und artikulierte eine weibliche Perspektive auf die von Schuld, Kummer und Sünde erfüllte "Wicked World" der honky tonks.

Kitty's Kollegin Patsy Cline gebührt ein Ehrenplatz und beide zusammen ebneten allen nachfolgenden Queens den Weg. Cline, die erste große Country-"torch"-Sängerin, nahm eine ganze Reihe von Klassikern des gepflegten Liebeskummer auf. Außerdem fluchte und trank sie und hatte mit Sicherheit mehr Spaß als Wells, die unter der Fuchtel ihres Ehemann-Managers stand, fleißig zur Kirche ging und Kochbücher verfaßte. Cline wurde '32 in Virginia geboren und verfolgte ab ihrem 14. Lebensjahr entschlossen ihre Karriere (Radio, Clubs etc.). Der Erfolg hielt sich in Grenzen, bis sie '57 mit "Walking After Midnight" einen Hit in den Country- und Pop-Charts zugleich landete. Decca versuchte, sie als Pop-Sängerin zu vermarkten und Produzent Owen Bradley verpaßte ihr den Pop-kompatiblen Nashville Sound, aber Cline selbst sah sich als "country-gal", jodelte gerne und einige ihrer Aufnahmen rocken auch kräftig. Zu schade, daß sie '63 ihren Hit "I Fall To Pieces" bei einem Flugzeugabsturz in die Tat umsetzte.

Eine weitere Favoritin aus jener Zeit ist Rose Maddox, die (eigentlich aus Alabama stammend) mitsamt ihrer Brüder und ihrem "hillbilly boogie" die Westküste unsicher machte, bevor sie erfolgreich und überaus vielseitig Solopfade beschritt. In Rose schlummerte ein Rocker-Herz und ihre Band schien sich auch bei Country-Material zuweilen in eine Horde Punkrocker zu verwandeln, aber meine Nr 1. von Rose ist das getragene "Long Black Limousine". "Limousine" steht in der Tradition zahlloser Folk/Country-Balladen, die sich in Tragödien aller Art ergehen, um ihnen irgendeine Moral abzuringen. Rose erzählt von ihrem lover, der in der Stadt sein Glück machen will, um dann eines Tages mit einem tollen Auto zu ihr zurückzukehren. Wie das Leben so spielt, verunglückt er nach einer Party auf dem Highway und kehrt tatsächlich in einem schönen schwarzen (Leichen-)Wagen zu seinem Landmädel zurück.

In den 60ern erreichten einige Frauen Superstar-Status. (Zugleich wurde die von WASPs beherrschte Szene durch einige Mexikaner, Schwarze, Katholiken und Juden bereichert, wenngleich diese in der Regel eine Ausnahmeerscheinung blieben. Keine schwarze Frau wie etwa Linda Martell hat annähernd so großen Erfolg gehabt wie der schwarze Countrysänger Charley Pride). Viele wetteiferten um den Titel der Queen, aber den teilte das Dreigestirn Loretta Lynn, Tammy Wynette und Dolly Parton unter sich auf. Alle drei Damen kämpften sich langsam im Geschäft nach oben, verkörpern die "rags-to-riches-story" und setzten via Büchern, Filmen, TV und Klatsch neue Maßstäbe in Sachen Medienpräsenz.

"Coal Miner's Daughter" Loretta Lynn kommt aus Kentucky, begann ihre Karriere als "honky tonk girl" in der Tradition von Wells und gewann '72 als erste Frau den CMA "Entertainer of the Year"-Award. Der Weg einer Country- Sängerin ist für gewöhnlich gepflastert mit Depressionen, Pillen und Psychiatern. Lynn, nach eigener Aussage "one of the unhappiest people in the world", ist fraglos als Queen qualifiziert. Sie wird zutiefst verehrt (sie ist auf Perücken angewiesen, seit liebende Fans sie ihrer Haare beraubt haben) und "black-outs" auf der Bühne werden ihr ebenso vergeben wie Flirts mit Reinkarnation und anderen esoterischen Konzepten ("I was an Indian Princess once. My name was Little Flower"). In "The Pill" - zweifellos der einzige Country-song, der Empfängnisverhütung thematisiert - preist sie die Pille als Waffe gegen zeugungsfreudige Ehemänner: "I'm tearin'down your brooder house 'cuz now I've got the pill ... this chicken's done pulled up her nest ... this incubator's overused." Lynn weiß, wovon sie singt - mit 13 verheiratet, hatte sie mit 18 vier Kinder ("if they had pills back when I had my first boy, why, I'd eaten ém like popcorn").

Aber niemand, auch nicht Lynn, leidet schöner als die "Heroine of Heartbreak" Tammy Wynette. Virginia Wynette Pugh wurde '42 auf einer Baumwollfarm in Mississippi geboren und ihre Biographie erinnert zuweilen stark an eine Soap Opera. Tammy überstand vier Scheidungen und eine Affäre mit Burt Reynolds, von einem Ex in Umlauf gebrachte Nacktfotos und unzählige Klinikaufenthalte und Therapien ebenso wie eine Serie mysteriöser Anschläge (von der böse Zungen behaupten, sie habe sie selber lanciert, um sich im Gespräch zu halten). Zusammen mit Produzent Billy Sherill ist sie für viele Großtaten verantwortlich, zum Beispiel "Stand By Your Man" '68 (die meistverkaufte Single einer Frau ever), aber auch "I Don't Wanna Play House" oder "Appartment Nr. 9", das so herzzereißend ist, daß es in Gegenwart suizidgefährdeter Mitmenschen nicht abgespielt werden sollte. Sehr hübsch sind auch einige Aufnahmen mit Ex-Mann George Jones, mit dem sie während ihrer Trennungen und Versöhnungen Duette wie "We're Gonna Hold On" oder "We Loved It Away" in die Charts hievte, die die Fans über den jeweiligen Stand ihrer Ehe(hölle) auf dem laufenden hielt.

Tammy's "Stand" und "Don't Liberate Me, Love Me" legen es nahe und, wir haben es geahnt, Country-Sängerinnen stehen in der Regel nicht an der Spitze der Frauenbewegung. (Wie Connie Smith einmal bemerkte: I'd a lot rather have somebody brag on my supper than my new record").Country hat sich aus unzähligen Quellen gespeist, ist und bleibt aber in erster Linie ein Produkt der ländlichen weißen Arbeiterklasse aus dem Süden und tendiert dazu, deren selten revolutionäre Anschauungen zu reflektieren.

Sängerinnen war textlich lange Zeit wenig gestattet und auch heute konzentrieren sie sich auf Thema Nr. 1 - Love (gone wrong). Texte a'la "Heute abend werde ich aber eine mächtig gute Zeit haben" sind seltener. Von der besten Rockabilly-Sängerin aller Zeiten zum braven Landei mutiert, sang Wanda Jackson '67 "A Girl don't Have To Drink To Have Fun". Eine Lüge natürlich, aber symptomatisch für den relativen Mangel an Sängerinnen, die alkoholische Exzesse zelebrieren. Frauen scheinen weniger Probleme mit dem Dämon Alkohol zu haben, als mit ihren alkoholisierten Männer: "Don't Come Home a-Drinkin'With Lovin'On Your Mind", warnt Loretta Lynn. Frauen führen auch keine x-rated "smut songs" im Repertoire wie männliche Kollegen von Jimmie Davis bis zu David Allan Coe ("I Was into Whips and Things and She was into Pain"). Während Rockabilly-Gören wie Wanda Jackson, Barbara "I need a Man" Pitman, Janis Martin, Nona Rae oder Sparkle Moore in den 50ern schon kräftig auf den Putz gehauen haben, ist Sex für Countrysängerinnen eher ein Fremdwort. Daß Linda Hagrove in "Mexican Love songs" betrunken neben einem fremden Cowboy aufwacht, mag uns kaum schockieren, ist aber immerhin auf ihrem eigenen Mist gewachsen, während Tanja Tuckers "Would You Lay With Me (in a Field Of Stone") und Barbara Mandrells "Burning the Midnight Oil" - einem der seltenen "cheatin'songs" aus weiblicher Perspektive - von Männern stammen. Auch der einzige Song, der explizit von lesbischer Liebe handelt, stammt von einem Mann (Freddy Weller).

In dem in Country-Songs unermüdlich geführten Geschlechterkampf dominieren traditionelle Rollenverteilungen. Während die Männer mitunter zu drastischen Maßnahmen greifen - in zahlreichen Songs (und zuweilen in der Realität wie das Beispiel von "Western Swinger" Spade Cooley zeigt) laufen "good ol'boys" Amok und bringen untreue Ehefrauen unter die Erde - schwelgen die Frauen zumeist in der Opferrolle der liebenden-leidenden "good hearted woman". Ab und an aber wird den Männern doch Paroli geboten. Schon Cline sang, daß sie das Auto ihres reichen lovers mehr liebt als ihn selbst. Auch Tammy läßt sich nicht alles gefallen und verspricht: "Your Good Girl's Gonna Go Bad". Lynn verkündet ihrem Mann "Your Squaw is on the Warpath", in Dollys "To Daddy" heißt es letztendlich "Goodbye to Daddy" und T.J Sheppard empfiehlt in "One for the Money" einen Ehemann zur Sicherheit und einen lover für alle anderen Bedürfnisse. Und soviel auch in Songs dem Domestizität gehuldigt wird, die meisten Sängerinnen scheren sich privat einen Teufel darum.

So auch Dolly Parton. Dolly, optisch der Traum einer jeden "drag queen", verfügt über jede Menge Geschäftssinn und ist schon dadurch sympathisch, wie sie sich dem Nashville Establishment durch ihre "I love Sex"-Erklärungen, ihr "Playboy"-Cover und ihre Pop-Crossover suspekt gemacht hat. Dolly wurde '46 als eins von 12 Geschwistern in den "Tenessee mountains" geboren, sang erst in der "Church of god", dann mit 10 in einer TV-Show ('76 hatte sie ihre eigene) und nahm mit 13 ihre erste Platte auf (Puppy Love"). Nach der high school gings nach Nashville, wo sie bis zu "Dumb Blonde" als Rock/Pop-Sängerin vermarktet wurde. Noch während ihrer Zeit mit Porter Wagoner (die lebende Kreuzung aus Country-Sänger und Pfau), hatte sie eine Reihe von Hits und wurde Mitte der 70er mit Awards überschüttet. Porter Wagoner hat Dolly nie vergeben, daß sie ihn dann hat sitzenlassen. Musikalisch schreckt Dolly vor nichts zurück, aber ihre guten Sachen sind unschlagbar. Sehr schwungvoll ist etwa ihre Version des "Mule Skinner Blues", die Jodeln mit Peitschenknallen kombiniert. Wie Lynn ist Dolly eine versierte Songschreiberin und gerühmt wegen ihrer bittersüßen autobiographischen Songs ("In the Good Old Days When Times Were Bad", "Coat Of Many Coluors"). Ein Höhepunkt ihrer Karriere ist zweifellos "Daddy Come And Get Me". Hier schluchzt sich Dolly durch das schaurige Drama eines Geschlechterkampfes im fortgeschrittenem Stadium. Um sich ihrer zu entledigen, hat ihr Ehemann sie in eine Irrenanstalt einliefern lassen. "How could he go that far?" fragt sich Dolly zurecht; ob ihr Vater sie noch retten kann?

Zum Schluß zwei Frauen, die, jede für sich, aus ganz anderen Ecken kommen. K.D.Lang stammt aus Kanada, hatte nie viel mit der Nashville Mafia zu tun und konnte sich so als lesbisch outen, ohne gelyncht zu werden, zumal sie das Country-Genre bald verlassen hat. Lang ist ein Stimmwunder (leider zuweilen mit Hang zu Vokalakrobatik), ein großer Patsy Cline-Fan und bei ihren ersten Country-Platten aus den 80ern kann man bedenkenlos zugreifen.

Wenig falsch machen kann man auch bei Emmylou Harris, einer heimlichen Queen mit Folk-Background, die von Gram Parsons auf country-Kurs gebracht wurde. Emmylou hüpft zwischen allen Genres und hat ein gutes Händchen bei der Wahl von Songs und "sidemen". Ihre Platten (vorzugsweise aus den 70ern) seien jenen ans Herz gelegt, die sich auch mit der Pistole an der Schläfe weigern, Country und Artverwandtes zu goutieren. Wer nicht zuhören will, kann sich die Cover-Fotos als Poster ins Wohnzimmer hängen, denn Emmylou singt nicht nur wie ein Engel, sie sieht auch so aus. Für Russ Meyer-Freunde dagegen empfehlen sich hierzu natürlich Dolly Parton-Cover.

Bilder: Privatarchiv