Ina Wudtke

Kommentar zu dem Film "kids"

Voller Erwartung stürmte ich am 20. Juli in das 'Angelika Filmcenter', N.Y., - Larry Clarks erster Film hatte Premiere. Das Drehbuch hat der 22-jährige Harmony Korine in drei Wochen geschrieben. Nicht schlecht, dachte ich, aber in N.Y. gibt es eine Menge Kids, die Karriere machen...

Die beiden trafen sich vor drei Jahren am 'Astor Place', das Trittbrett zum 'East Village' und gleichzeitig ein Treff für Scateboardfahrer. Das Pressefoto, eine Szene aus 'Kids' mit den Hauptdarstellern, war wirklich sehr stark als Scateboardszene markiert.
So vermutete ich zuerst auch einen Film über Jugendkultur und Scateboardfahren. Stattdessen konzentrieren sich Korine/Clark eher auf die unangenehmen Erlebnisse der Teenagerzeit. Die Zeit der allerersten Parties, wo von Selbstkontrolle noch keine Rede sein kann. 'Village Voice' nennt 'Kids': "Den Film den Amerika verdient!".
Schon Clarks frühere Fotobände 'Tulsa' und 'Teenage Lust' zeigen, was der durchschnittliche Bürger verabscheut. Genau wie in 'Kids' dreht es sich dabei um die Perspektive des männlichen, jungen Teenies.
Etwa: 2 Mädchen befriedigen einen Typen, während er sich einen Schuß Speed setzt. Ein Typ schlägt einen anderen brutal zusammen. Erotische Streetboys mit riesigen, aus den Hosen hängenden Schwänzen, schauen mit dem typischen "Komm her Kerl, für dich 50 DM"-Gesichtsausdruck in Larry Clarks Objektiv.
Larry Clark liebt den Typus 'Jung, schlacksig, zu Hause rausgschmissen...'. Seine Fotografien haben so umwerfenden Charme, daß sie sich sogar als 'Pin Ups' für Frauen eignen.
Seine Fotobände und sein Film wirken unglaublich realistisch, sprich die Akteure sind keine Schauspieler/Models. Sie haben offensichtlich nicht das geringste dagegen einzuwenden, sich von Larry Clark beim Sex oder chillen ablichten zu lassen. Sie verhalten sich, als wäre er gar nicht anwesend. Wir,die Zuschauer, sind sofort mittendrin!
'Close Up': Zwei Teenies, die sich küssen, - die erste Szene von 'Kids'. Man hört das Lutschen und Schmatzen eines sehr langen und sehr tiefen Zungenkusses. Was einem einige Sekunden später auffällt ist, daß das Mädchen höhstens 11, der Junge vielleicht 14 Jahre alt ist.
'Telly', der Typ in der Hauptrolle, sieht aus wie ein Schluck Wasser, er hat für sein Alter ebensoviele Pickel, wie Erfolg bei den Mädchen. "Ich liebe Jungfrauen..." sagt 'Telly' in diesem Augenblick aus dem Off. Er beginnt, dieses süße kleine Mädchen, mit ihren Teddies und Bildern, in ihrem Kinderzimmer, zu bumsen.
Das Mädchen ist offensichtlich viel wohlhabender und behüteter als 'Telly'. Es ist schon ein fieses Kitzelgefühl, als Voyeur ihr geblümtes Höschen weichen zu sehen, während 'Telly' ihr erzählt: "Vertrau mir Kleines, ich mag dich, ich will doch nur, daß du Spaß hast."
Diesen hat sie einige Sekunden später offensichtlich nicht mehr. Das Mädchen wird hier eben nur in der Rolle der 'dummen Votze' gezeigt.
Kurz darauf sieht man 'Telly' die Treppe hinunterspringen, bevor er das Haus verläßt, spuckt er noch einmal auf den schrecklichen Resopal-Tisch im Wohnzimmer ihrer Eltern. Vor der Türe trifft er seinen besten Freund 'Casper', der auf ihn gewartet hat.
'Casper' ist Hauptrolle #2, sieht ein wenig älter und kräftiger aus als 'Telly'. Er hat nicht das gleiche Glück bei den Mädchen und setzt deshalb seine Prioritäten auf Bier, welches er die ganze Filmlänge über trinkt.
Der Zuschauer wird nun einen Tag mit 'Telly' und 'Casper' verbringen. Es geht um ficken, saufen, Nigger verprügeln und Parties.
Obwohl der Film die Person 'Casper' als Rassisten, Vergewaltiger und Säufer zeigt, schafft er es, die Charaktere nicht moralisch abzuurteilen, was sehr erfrischend ist.
Die Filmrollen der Mädchen in 'kids' wirken so, wie die 'Billigbarbiemänner', die wir uns als Teeniemädchen kauften, damit unsere Superbarbies auch was zum ficken hatten. Als Charaktere sind sie uninteressant, was zählt ist ihr Geschlecht.
Das Mädchen (#2) im blauen Hemd, verbindet die einzelnen Szenen miteinander. Aus Spaß hat sie mit ihrer Freundin einen Aidstest gemacht. Verzweifelt stellt sie fest, daß sie HIV-positiv ist, obwohl sie doch nur ein einziges Mal Sex hatte - mit 'Telly'.
Ein Taxi bringt sie von Szene zu Szene, auf der Suche nach 'Telly'!
Es ist schade, daß die Mädchencharaktere so zweitrangig sind. Zu Beginn des Filmes wird in einer Szene versucht, die Beziehungen der Mädchen untereinander darzustellen. Sie scheitert kläglich, da die Mädchen nicht recht zusammenpassen. Es wird auch nicht versucht dem Zusammensein der Mädchen in weiteren Szenen nachzugehen.
Harmony Korine sagte in der 'Village Voice' dazu, daß 'Kids' eben nur der Anfang einer Reihe nötiger Filme über Teenager ist.
Anders als im Drehbuch entsprechen die 'realen Teenies', die Darsteller von 'Kids', eher dem typischen weissen, mittelklasse 'East Village' Teeny. Das Mädchen (#2) trägt im Film die Klamotten von 'Exgirl'. Ein Klamottenladen schräg gegenüber von 'In'-Laden 'Liquid Sky'. Sie heißt Chloe und ist zufällig die Freundin von Harmonie Korine. Modelt zur Zeit gerade ein bißchen für ID. In ID läßt sie noch kurz durchschauen, daß sie die beste Freundin von Szenekünstlerinn Rita Ackermann ist. Chloe möchte mal Film, Geschichte oder Design studieren.

1981, im Anhang von 'Tulsa', beschreibt Larry Clark seine eigene Teenagerzeit. Sie hat einiges mit der von 'Telly' gemeinsam. Schon sehr früh mußte er mit seiner Mutter das Geld für die Familie als 'Babyfotograf' verdienen. Sein Vater ignorierte ihn und den Rest der Familie. Larry Clark erzählt auch, wie er das Nachbarmädchen lustvoll erniedrigte, vögelte. Später ist er 10 Jahre stark speedabhängig und unfähig ein Foto zu machen. High auf Speed, schoß er auf einen Mann beim Kartenspielen. Dafür verbrachte Larry Clark einige Zeit hinter Gittern. Heute ist er 52 Jahre alt.
In Amerika hat Larry Clark nun als Kameramann und Regisseur von 'Kids' seinen Durchbruch als Künstler geschafft.
Niemand schaut in 'Kids' in die Kamera, ein geradewegs direkter, erzählerischer, dokumentarischer Filmstil.
Bleibt nur zu hoffen, daß der Film auch in Europa gezeigt wird. Zum Zeitpunkt der amerikanischen Premiere, lehnten noch alle angesprochenen europäischen Verleihfirmen es ab, den Film zu vertreiben.



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