Ina Wudtke

Interview mit Doris Frohnapfel

Die Ausstellung "Die Rote Perücke" der 33-jährigen Doris Frohnapfel lief im September auf KX in Hamburg. Sie gefiel mir so gut, daß ich nach Köln fuhr und sie zu ihrer Arbeit befragte.

Neid: Die Fotos der Ausstellung "Die Rote Perücke" sind ja Fundfotos, hast du vorher schon mit Fundfotos gearbeitet?
D. Frohnapfel: Das ist eigentlich die erste Serie, die ich zusammengestellt habe. Vorher habe ich eher Einzelinstallationen gemacht, da hab' ich dann immer unheimlich viel rein gepackt. Die bestehen dann auch aus bis zu zwölf Fotos, teilweise auch mit Text gemischt... Oder Fotofolgen, das waren auch gefundene Fotos, oder Bilder, die ich abfotografierte, so wie sie irgendwo hingen oder lagen, wie hier z.B., wo noch so ein Messer auf der Zeitung liegt... Dann aber auch Kombinationen aus selbstgemachten oder aus 'm Fernseher abfotografierte Fotos.
Neid: Du sammelst also und kombinierst ab einem bestimmten Punkt?
D. Frohnapfel: Ja, bei der Serie "Die Rote Perücke" entwickelte sich das so von einer Geschichte zur nächsten. Das Thema ging einfach so weiter, so sind es am Ende zwölf Installationen geworden. Die Ausstellung hat den Titel "Die Rote Perücke", weil es da viel um Geschlechterrollen geht. Mann und Frau, Mann / Mann und Frau / Frau gegenseitig, die sich befreien oder Gewalt antun. Die Perücke ist für mich so ein Verkleidungsteil, womit man sich schöner macht oder eben nicht und womit man zum Mann oder zur Frau werden kann. Es gibt auch eine Installation mit Text von mir, die handelt von einer roten Perücke.
Neid: Diese androgynen Geschichten, wo ist da der Bezug zu Dir? Ist das eine Reflexion der Medien oder hat es auch etwas mit deinem Leben zu tun?
D. Frohnapfel: Also das Androgyne ist nicht aus den Medien, denn da wird das ja meistens ganz klar getrennt. Das ist der Mann, das ist der Täter und das ist die Frau, das ist meistens das Opfer. Und ich wollte eigentlich auch versuchen, diese normalen Rollenklischees aufzulösen, nicht aufzuheben, sondern aufzulösen. Aufheben kann man das natürlich nicht, es gibt Mann und Frau - nur diese Rollen und Verhaltensmuster, die da draufgedrückt werden, sind ja meistens Projektionen auf Äußerlichkeiten...
Neid: Und die Texte, sind das auch Fundtexte?
D. Frohnapfel: Das mischt sich auch so. Ich arbeite fast nie aus der reinen Phantasie heraus.
Neid: Das sind praktisch auch Zusammenstellungen aus vorgefundenen Teilen...
D. Frohnapfel: Aber die sind natürlich auch durch die von mir geänderten Formulierungen und Sinnumänderungen aus einer bestimmten Richtung rausgenommen. Das Eindeutige habe ich herausgenommen, um das in eine Richtung zu wenden, die man vielleicht nicht überall liest. Diese Methode macht die angedeuteten Geschichten noch schrecklicher - oder noch schöner.
Neid: Es handelt sich oft um italienische Zeitungen?
D. Frohnapfel: Es ist eine italienische Zeitung. Das ist ein formales Mittel, daß das alles aus einer Zeitung ist. Die Auswahl ist eingeschränkt und auch die Wiedergabe. Ich fotografiere das alles aus der Hand, normale Kamera mit Zwischenring. Also keine Reprokamera. Wenn ich das mit anderen Zeitungen mischen würde, würden die Fotos jeweils einen anderen Charakter haben. Da ist dann die Körnung anders oder die Farbe. Und bei so unterschiedlichen Fotos würde mich das stören.
Neid: Womit hängt das zusammen, daß du italienische Zeitungen verwendest?
D. Frohnapfel: Das hat eigentlich hauptsächlich mit der Zeitung zu tun gehabt. Ich habe in keinem anderen Land so eine Zeitung gefunden. Es gibt in Frankreich noch diesen detective oder in Spanien crime, aber die arbeiten eigentlich mehr mit Texten als mit Fotos. Und dann gibt es hier in Deutschland diese Königshausgeschichten, "Neue Frau" oder wie die alle heißen. Die italienische ist eigentlich so eine Zeitung, nur daß die mit ganz normalen Familiendramen arbeiten. Die sind zum Teil wohl auch erfunden, wenn man diese Zeitung einmal die Woche denkt man, diese Person war doch schon mal bei einer anderen Geschichte dabei..
Neid: Wie hast du angefangen, Kunst zu machen? Hast du Kunst studiert?
D. Frohnapfel: Ich habe in Köln Malerei, Bühnenbild und Theater studiert, aber das ist lange her. Das war zu der Zeit der "Wilden Malerei", die in Köln stark vertreten wurde, und ich fand die schrecklich konservativ.
Ich habe dann ganz kraß einfach mit der Malerei aufgehört. Das hat mir überhaupt nichts mehr gesagt, und ich konnte überhaupt kein mir entsprechendes Bild herausbringen. Die Übersetzung mit so einem Pinsel in ein abstraktes Teil, bedeutet auch wenig Beschäftigung mit der Wirklichkeit.
Neid: Ist für dich die Fotografie, also im Gegensatz zur Malerei, eine Möglichkeit, Wirklichkeiten einzufangen?
D. Frohnapfel: Ja klar...
Neid: Aus dem selben Grund auch die Schrift?
D. Frohnapfel: Ja, genau, das kommt dann mit der Zeit. Der Gedanke, was einem ein Foto alleine überhaupt noch sagen kann, das ist ein Problem. Ein Foto ist ja unheimlich schnell schön oder belanglos. Deswegen arbeite ich auch mit Texten. Um eine inhaltliche Richtung reinzukriegen.
Neid: Und wie arbeitest du da? Erst die Bilder und dann der Text?
D. Frohnapfel: Das ist verschieden, also bei der Reihe "Die Rote Perücke" da hatte ich einmal dieses übergeordnete Thema Geschlechterbeziehungen. Und so habe ich Texte und auch immer mehr Bilder dazu gefunden.
Neid: Wie siehst du Geschlechterbeziehungen, das hört sich so an ... ja, "rote Perücke" ... als handele es sich um eine gegenseitige Maskerade. Ich verstehe noch nicht ganz deinen Begriff von Geschlechtern. Es hört sich im Moment so an, als würde es sehr viel mit äußeren Merkmalen zu tun haben.
D. Frohnapfel: Ja, mit Projektionen und vor allem mit Abhängigkeiten, gegenseitigen Abhängigkeiten.
Neid: Gesellschaftlichen?
D. Frohnapfel: Im weitesten Sinne, da ist z.B diese Geschichte mit der Nomadin, wo die Mutter ihr Kind festhält... also auch solche Abhängigkeiten.
Neid: Beziehst du dich da auf Psychologie oder kommt das einfach aus der Lebenserfahrung?
D. Frohnapfel: Das kommt zum Teil einfach aus der Lebenserfahrung. Natürlich liest man dann auch dazu.
Neid: Wann hast du angefangen, mit Text zu arbeiten?
D. Frohnapfel: Eigentlich fängt das damit an, wenn man Bildern einen Titel gibt. Die nicht nur durchnumeriert. Das ist ja oft schon ein Hinweis.
Neid: Du sagst, es gibt dem Bild mehr eine Richtung, aber die Schriften haben ja eigentlich eine sehr ähnliche Qualität wie die Bilder, auch sie sind austauschbar und könnten unter anderen Fotos stehen. Wonach hast du die Texte ausgewählt?
D. Frohnapfel: An den Sätzen formuliere ich schon ziemlich lange herum; einige sind ja extra ein bißchen holperig, manche müssen dann noch etwas geschliffen werden. Auch die Namen sind sehr wichtig. Die Zuordnungen sind jetzt nicht direkt zu erklären. Ich versuche das so zu halten, daß es genügend Andeutungen gibt... dabei aber noch genügend offen läßt.
Neid: Es geht darum, Pseudoidentitäten herzustellen?
D. Frohnapfel: So sind die Porträts oft ausgesucht.
Neid: Hast du zu dem Thema der Androgynität noch einen stärkeren Bezug als über die Zeitungsbilder?
D. Frohnapfel: Ja... Es ist nur so, daß ich mich mit der Rolle der Frau, so wie man sie versteht, nicht zurecht finde, und die auch mittlerweile nicht mehr kenne. Unheimlich oft sprechen mich Leute so an, als wäre ich ein Mann oder als wäre ich ein Junge oder auch gar nichts.
Also, daß die Leute da gar nicht mit umgehen können, wenn man sich nicht so und so verhält, so und so aussieht... das fängt mit den Schuhen an. Ich habe ziemlich breite Füße und finde in keiner Damenabteilung Schuhe. Aber das ist jetzt nicht so wie bei Transvestiten Wunsch, ein Mann zu sein. Bei denen geht es ja auch ganz viel ums Physische, bei mir eher ums Psychische.
Neid: Bei Transvestiten ist es ja aber schon noch eine eigene Form, weder weiblich noch männlich. Das liegt dazwischen.
D. Frohnapfel: Ja, ja, nur man selber liegt ja auch dazwischen, man fragt sich das ja auch. Heute geht es mir zwar nicht mehr so, aber früher hat mich das schon irrsinnig irritiert. Also, daß ich mich eigentlich nicht als Mann fühlte, aber trotzdem schon bestimmte Sachen oder Phantasien hatte, wo man dann eben sagt: das kann man als Frau nicht... hat mich eine Zeit lang ziemlich eingeschränkt. Da wußte man dann auch nicht, was soll das eigentlich, wo stehe ich da jetzt?
Neid: Was meinst du da jetzt speziell? Daß man selber aktiv ist, nicht so viel Zeit für einen Freund hat? oder sich in einer bestimmten Weise um Leute kümmert?
D. Frohnapfel: Ja, sowas z.B. Irgendwann ist es mir auch egal gewesen. Da zieht man sein Ding durch, ohne sich durch sowas beeinflussen zu lassen. Dann trampt man eben durch Italien und wird fast vergewaltigt - aber anstatt zu heulen, muß man rennen!
Neid: Und wie drückt sich für dich Identität aus? Ich glaube, es ist fast immer so, daß man versucht, sich mit etwas zu identifizieren, womit man sich eigentlich nicht identifizieren kann. Könntest du die weibliche Rolle ähnlich begreifen?
D. Frohnapfel: Da ist nur dieser Moment der Realität, wo es dich eingrenzt. Da, wo es dich an Grenzen bringt, aber an Grenzen, die du nicht akzeptierst. Und schon weißt du nicht mehr, wo du hingehörst.
Neid: Und wo siehst du diese Grenzen: in deinem Leben? oder auf die Kunst bezogen?
D. Frohnapfel: Also in der Kunst, da weiß ich nicht, wo ich die sehen soll. Ich seh das eigentlich mehr inhaltlich, daß es schwer ist, bekannt zu werden oder zu verkaufen. Es ist schwer, eine Kunst zu vermitteln, die sich mit dem Leben und mit den Problemen darin beschäftigt. Viele meiner Fans haben zu wenig Geld. Auf KX hatte ich ein Ansichtsexemplar der elf Poster zur "Roten Perücke" ausliegen. Die waren nachher alle geklaut. Eigentlich ein gutes Zeichen...
Neid: Wovon lebst du? Was machst du?
D. Frohnapfel: Ich arbeite in einem Architekturbüro, zeichne und setzte manchmal den Bauhelm auf, sehe auf die Baustelle und gucke, ob auch so gebaut wird. Ich habe nach dem Kunststudium Architektur studiert.
Neid: Du hattest eine Ausstellung in Köln, mit dem Titel "Reisefotos".
D. Frohnapfel: Ja, ich habe eine Ausstellungsreihe organisiert. Es geht da um Gebautes oder Bauprojekte in Köln. Ich habe hier, im Gegensatz zu der letzten Arbeit, Fotos aus meinem Archiv benutzt, die ich in mitteleuropäischen Städten selber gemacht habe. Gebäude und Stadtbrachen, jenseits von Idylle, aber heimliche Utopien. (Sie zeigt mir die Arbeiten und Teile der neuen Serie "Kathy") Im Gegensatz zu den "Reisefotos" ist das so ganz im groben: eine Reihe von Gebäuden und Wohnsilos mit Texten, daß man davon weg will.
Neid: Stammen diese Texte auch aus anderen Texten?
D. Frohnapfel: Also, das kann ich nicht mehr sagen. Das sind Collagen. Ich schreibe mir interessante Passagen heraus, die ich in Groschenromanen, teilweise auch in der Zeitung, lese oder sonstwo aufschnappe. Die benutze ich dann irgendwann wieder. Kein Satz ist also original. (Auf dem Schreibtisch liegen Liebesromane herum, wir blättern darin)
D. Frohnapfel: Ja manchmal sitze ich da und blättere einfach so herum. Da stehen sehr interessante Sachen in diesen Dingern. Die kann man natürlich nicht ganz durchlesen, aber da hole ich mir poetische Formulierungen heraus. Das haben die nämlich unheimlich drauf. Wenn man dann ein bißchen drüber reflektiert und die zurücknimmt... meistens muß man sie ein bißchen verkürzen und mit ein paar anderen Wörtern mischen, daß man einen eigenen Sinn hereinbekommt. Ich habe noch nie längere Geschichten geschrieben. Das ist auch überhaupt nicht mein Ding. Ich behandle Texte ein bißchen wie Fotos.
Neid: Die Texte der neuen Arbeiten sind also nicht mehr handschriftlich, sondern plakatähnlich gesetzt.
D. Frohnapfel: Vielleicht ist das so ein Schritt, daß ich das jetzt schon mehr aus dem Kopf entwickelt habe. Die Handschrift drückte Direktheit aus. Ich fange immer mehr an zu konstruieren. Betroffenheit ist hier schon gefiltert und reflektiert. Ich fand diese Papptafeln auch schön, weil die so eine Originalität da rein bringen. Ein Foto ist halt immer nur ein Abzug. Ein handschriftlicher Text bringt etwas Originales da rein.
Neid: Ist Ort und Raum für dich auch eine Form von Porträt?
D. Frohnapfel: Man kann sich nicht immer nur mit dem Abbild des Menschen beschäftigen. Ich könnte diese Portraitstories jetzt unendlich weiterführen. Aber das bringt ja keine neue Erkenntnis.
Neid: Wo du von Erkenntnis sprichst... Hast du denn jetzt das Gefühl, mehr über Geschlechterrollen zu wissen?
D. Frohnapfel: Ja, ich glaube schon - das hoffe ich auch für mein Publikum. Beim Arbeiten schreitet man so viele Ebenen ab, daß sich der eigene Blick erweitert. Und ich merke das auch an den Reaktionen während der Eröffnungen. Z.B. gerade bei "Die rote Perücke" kommen Leute spontan auf mich zu, da passiert was, das finde ich gut.

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