The Thing Homepage  
  Pool  
   
(Matthias BAADER Holst)   
Erich Maas über Matthias BAADER Holst

BAADER traf ich zum ersten Mal kurze Zeit nach der Grenzöffnung zwischen den beiden deutschen Staaten. Ich kannte einige seiner Texte aus den diversen kleinauflagigen, selbstgefertigten Zeitschriften, die es in den Achzigern in der DDR gab. Was mich noch mehr anzog, war, was ich über seine Person gehört hatte. Der von Anderson neu gegründete Verlag Gruckhaus Galrev hatte sich anfangs vorgenommen sein Programm ganz dem literarischen "Underground" der Achziger zu widmen. BAADERS Texte fanden darin allerdings keinen Platz. Sie wurden von den Verantwortlichen als unbrauchbar abgeschmettert. Es handle sich um nur peripher interessante Kiezliteratur, oder so ähnlich. Peter Wawerzinek, BAADERs Kumpel, mit dem er hunderte von Lesungen betritten hatte, ging's nicht anders. Der Prenzlauer Untergrund setzte eine Ausgrenzungspolitik fort, die in inoffizieller Form schon untergründig so praktiziert worden war. Da waren also zwei Bücher, die veröffentlicht werden mußten, und zack, hatte ich einen Verlag am Hals, anfangs mit Uwe Warnke zusammen. "traurig wie Hans Moser im sperma weinholds" von BAADER und Nix/Roman von Peter Wawerzinek. BAADER erlebte die Veröffentlichnung seines Buches nicht mehr.

Die erste Lesung von BAADER hörte und sah ich in Westberlin im Kulturhaus Böcklerpark. Ich hatte BAADER zuvor noch nicht gesehen, wußte also nicht, wie er aussah. Aber schon bevor er auf der Bühne war, fiel es leicht ihn unter den zwei- bis dreihundert Leuten auszumachen. Man konnte ihn nicht übersehen und unbestreitbar hatte er, was landläufig Charisma genannt wird. Freunde von ihm kopierten ihn bis in den Tonfall und die Gestik.

Wegen der außergewöhnlichen Vortragsweise, die BAADER und Wawerzinek bei ihren Lesungen praktizierten, lag die Idee nahe, ein Video zu produzieren. Am ersten Tag der Aufnahmen für das Video, einer Tour nach Bitterfeld und zurück, landete Wawerzinek mit dem geliehenen Auto in einem Zaun und BAADER rezitierte unter dem Einfluß des Inhalts einer Flasche Whiskey vor einer nicht mehr ganz standfesten Kamera auswendig seine Texte. koitusbonzen rotzen. BAADER rezitierte immer seine Texte aus dem Kopf. Wohl weil er sie ohnehin meist schon komplett da drin hatte, bevor er sie notierte. Änderungen im einen oder anderen Fall ausgenommen. Das kriegte man mit, war klar. Er bildete mit seinen Texten eine Einheit, ging mit ihnen eine Art Symbiose ein, lebte mit ihnen und die Texte mußten notgedrungen mit ihm leben, sich ihm anpassen, seiner Lebensweise sich fügen und ihr genügen. So kamen sie zustande. Und mehr Text, als einer bei sich tragen kann, im Kopf, mußte nicht sein, wäre lästig gewesen, Ballast. Literarische Überlebensrationen oder sowas, waren das. Manchmal auch eine Art Sturmgepäck, effizient, aufs nötigste reduziert, schlagkräftig und in vielen Einsätzen erprobt. Einer allein kann sich damit durchsschlagen und das tat BAADER. Nichts sonst.

Mehr als eine Briefkastenadresse hatte BAADER in seiner Berliner Zeit nicht. Er nächtigte in Außenklos, Büschen, Kellern und bevorzugt in der Nähe von gefüllten Kühlschränken.

Typen, die für die Kunst oder um der Kunst willen leiden, sich quälen, schikanieren oder solches auch nur vorgeben, haben etwas Bedauernswertes. Oberflächlich besehen, hätte man auch BAADER eine derartige Haltung zuschreiben können. Es ist anzunehmen, daß für BAADER Kunst als etwas entäußertes, das er in die Welt stellte oder schrieb, so nicht existierte. Abschreckende Beispiele gab es im Osten immerhin genügend, bis hinunter ins politische Kunstgewerbe. boley mir fünf mark. Seine Bezeichnug dafür war "Bedeutungsneurotiker". Damit hatte er nichts am Hut.

Er hat solange auf seine Sätze eingeredet, eingestikuliert, bis jeder überflüssige Schnörkel das Weite suchte. Auf dem Papier hat er nur zugelassen was resistent und hartnäckig genug war, seinen Austreibungen zu widerstehen. Der Rest war abgeschüttelt, losgetreten. Ein wichtiger Bestandteil seiner Texte ist mit seiner Person, seinem Vortrag, seiner Stimme verschwunden, unwiederbringlich. Was bleibt sind Rudimente, sowas wie Krümel in einer Tasche, in der sich mal die ganze Brotzeit befunden hat. Die hat BAADER selbstverständlich aufgegessen. Wär ja auch 'ne Schande sowas verkommen zu lassen.

BAADERS Texte sind authentisch. Oder gibt's ein besseres Wort? Kein Erfüllungsgehilfenmäßiges Gefummel, das nach nickenden Lektorenköpfen schielt, nach dem Feuilleton oder Literaturmeinungen. BAADER trug seine Texte wie Garderobe. Die fand er beim An- und Verkauf oder im Abfall und war schrill zusammengestellt. Literaturtheoretisch gesehen, lassen sich für Abhandlungen über BAADERs Texte sicher einige Ablagen finden. Doch wen interessiert sowas schon. BAADER selbst hätte sich den Hintern damit gewischt, steht zu vermuten, was nicht heißt, daß er an Kritik kein Interesse gehabt hätte. Im Gegenteil, hierin war er höchst sensibel und verletzlich. BAADER Trug den Körperteil, der seine Texte produzierte, kahl rasiert, nackt und bloß. Meist duldete er auch keine Wimpern und Augenbrauen. Und an diesem Kopf hat ihn die Straßenbahn erwischt.

Irgendwann einmal hat BAADER angefangen einen Ausreiseantrag zu tippen. Über vier, fünf Zeilen ist er dabei nicht hinausgekommen. Danach wurde das Blatt Papier für eine Zeichnung benutzt. Das, womit andere dissidental ihre Karrierekaries überbrückten, ließ ihn kalt. Dort, wo literarisch frühvergreiste Jungautoren in Frührente gehen und sich die dürren Lorbeeren aus den Feuilletonseiten auf ihre Biografien fädeln oder als Dörrfleisch zwischen den Seiten gesamtdeutscher Literaturlexika nach Unvergänglichkeit dürsten, hätte BAADER keinen Ort. Daß er abgetreten ist, ist so gesehen für ihn nicht bedauerlich. Bedauern bleibt auf unserer Seite. Bierdurst, Grünzeug und Eisbein.

Es gibt Leute, die behaupten oder aus seinen Äußerungen, seinem Leben und seinen Texten schlußfolgern, BAADER hätte sich selbst getötet. Eine derart offenkundige Inszenierung, eine derart simple Handwerkelei an seiner Biografie ist BAADER kaum zuzutrauen. Für so blöde nicht zu wissen, das gerade die Blöden jemandem sowas nachsagen würden, können eben nur Blöde jemanden halten. es gibt nichts was mich tötet, allein der text.