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|> Artikel: Neue Zürcher Zeitung

Kräuter und Klänge
     - von Adam Olschewski
| [Neue Zürcher Zeitung; 26.02.04]


CD-Wiederveröffentlichungen erinnern an den Krautrock

Seit den Essener Song-Tagen von 1968 geistert der Begriff Krautrock durch die Musikgeschichte. Was die Krautrock-Bands verband, waren das Streben nach sphärischer Musik und der Versuch, feste Formen zu überwinden. Einige Reissues und Neuerscheinungen unterstreichen derzeit die Bedeutung dieser deutschen Rockmusik.

Dieser Begriff birgt Ungemach. Er will klären, tut es aber nicht. Nun, vermag das ein Schlagwort jemals? Der Sammelbegriff «Krautrock» auf alle Fälle fasst zu vieles zusammen, was wenig gemein hat. Man kann ihn nicht widerstandslos hinnehmen. - Zunächst sind Krauts, vorrangig für die Bewohner der Britischen Insel, diejenigen auf dem Kontinent, die den Krieg erst angezettelt und dann verloren haben. Sie essen Deftiges wie Sauerkraut mit Eisbein, die sie runterziehen, schwer und schwerfällig machen, grobschlächtig im Wesen. Sie und der Rock, diese vorwärts strebende, noch junge Kunst, das ergibt eine lächerliche Konstellation.

Gemäss Julian Cope, der mit «Krautrocksampler» eine euphorische Liebeserklärung schrieb, stammt der Begriff «Krautrock» aus dem Amon- Düül-Stück «Mama Düül And Her Sauerkrautband Start Up!». Vier Jahre später, 1973, brachte die Gruppe Faust das Stück «Krautrock» heraus. Es verwies sowohl, in ironischer Distanz, aufs Sauerkraut als auch auf jenes Kraut, das das Bewusstsein zu erweitern verspricht. Wohl erst von da weg, nachdem die britische Presse das Schlagwort willkommen geheissen hatte, machte sich der Begriff unentbehrlich. In England und in den USA, den prägenden Musikmärkten, ist «Krautrock» längst ein Gütesiegel. Niemals hat etwa die Berliner Band Tangerine Dream, abgesehen von ihrem «Tatort»-Hit 1982, in ihrer Heimat eine vergleichbare Resonanz erfahren wie in der amerikanischen Fremde - wo sie siebenfach für einen Grammy nominiert wurde. Und die derzeit anstehenden Kraftwerk-Konzerte in Grossbritannien sind seit Monaten ausverkauft, die Düsseldorfer hatten dort auch mit «The Model» ihren einzigen Nummer-1-Hit. Und Faust hat bis heute, trotz Erfolg auf der Insel und ungebrochener Vorwärtsbewegung, keinen Eingang in das halbmillionenfach verkaufte deutschsprachige Rock-Lexikon des Rowohlt-Verlages gefunden.

Geburtsstunde

Allgemein gelten die Essener Song-Tage von 1968 als des Krautrocks Geburtsstunde; da spaltete sich für ihren Auftritt die oberbayrische Musiker-Kommune Amon Düül - in Amon Düül und Amon Düül II. Danach ging es, je nach Auslegung, eine Dekade oder weniger lang weiter. Eine Einheit der Krautrock-Szene gab es nie. Was die Bands von damals allerdings vage zusammenfasst, ist ihr von Drogen unterstützter Drang in die Sphären - «kosmische Musik» nennt es Cope. Bedeutend waren überdies das Streben nach einer Loslösung von Formen und Zuordnung, der Einfluss von Karlheinz Stockhausen und seinem Credo: «Alle Klänge und Geräusche sind Musik» - sowie der eingebaute Mystizismus, was zum überbordenden Gebrauch von Elektronik führte.

Ein Bündel von Reeditionen sowie Neuerscheinungen müsste nun endlich, besonders hierzulande, dieser Musik den Stellenwert einräumen, der ihr weitgehend zukommt. So werden etwa aus dem Katalog von Brain, dem einst massgeblichen, aber nicht mehr funktionstüchtigen Label für Pop aus Deutschland, sechs alte Alben neu herausgegeben, anhand welcher die Bandbreite der Ideen, der Überfluss fast, erkennbar wird. Man will Zwänge abstreifen, frei sein, die Zeit verlangte danach, doch mitunter wird der Furor falsch gelenkt. Was bei Embryo, Guru Guru, Yatha Sidhra um 1973 herauskommt, ist ein konsistenzloses Potpourri von allem und jedem in Reichweite; Jane aber ist eine jener Bands, die sich als Epigonen anglo-amerikanischer Narration erweisen.

Cluster mit «Cluster II» von 1972 und Harmonia mit «Musik von Harmonia» von 1974 - auf der Plattenhülle: eine Spülmittelflasche, eine Übung in Lakonie inmitten von Üppigkeit - setzen dagegen Wegmarken. Beide Platten verschreiben sich, in perfekter Balance aus Elektronik und Akustik, der Reduktion, die mit winzigen Verschiebungen im Soundgefüge monolithische Qualitäten gewinnt und einen Trance-ähnlichen Sog entfaltet, der heute gängige Klangmuster zum Gutteil vorwegnimmt. Und ins Sphärische gelangt man auch noch.

Diese Klarheit des Gedankens, verstärkt um ein Moment der Strenge, bei gleichzeitiger Freizügigkeit, können nur eine Handvoll Bands dieser Epoche vorweisen: Cluster und Harmonia eben, Kraftwerk, über die mittlerweile alles gesagt wurde, was zu sagen war, Neu! und Can. Sie haben den Maschinen, die sie mit wenig Vorbehalt bedienten, lauter energetische Stösse entlockt und sie dennoch mit Humanität ausgestattet. Das war jedenfalls nicht einfach nur Kraut, Eisbein, Rock - das war etwas ganz Eigenes.

Oder Faust. Die Musiker waren an dem aus der Industrie entwendeten Rohmaterial interessiert, und roh auch im Tonfall. Im April erscheint nun ein Gemeinschaftswerk mit Dälek, den Hip-Hoppern aus New Jersey. Es zeigt zähe Naturen, die sich in aufregenden, wenn auch maskulinen Spielen üben und Verstörung allzeit bejahen. Wohingegen Hans Joachim Irmler, unter anderem der Keyboarder von Faust, im Soloprojekt «Lifelike» mit in weise Sanftmut übergeführtem Lärm überrascht. Eine der wichtigsten Fussnoten, die der sogenannte Krautrock der sogenannten Musikgeschichte anfügte, bestand ja darin, einen «Work in progress»-Charakter der Stücke herzustellen, Musik im Werden zu offenbaren - eine Folge der zähen Konsenskämpfe in den Kommunen, die zu keinem Ende führten? -, den Zuhörer zu zwingen, sich von dem Wunschtraum zu verabschieden, dass eine Idee eine Form zu haben hat. Nichts sei endgültig und je handlich einzupacken, nichts. Eklektizismus, Exzesse, psychedelische Unerheblichkeiten - das geschah vorrangig.

Unendlicher Kosmos

Tangerine Dream kamen nie an. Weil ja der Kosmos, dem sie den Menschen stets zuführen wollten, unendlich ist und dessen Tonspur folglich ebenso zu sein hat. Edgar Froese von der Ursprungsformation ist übrig geblieben und hat sich in den neunziger Jahren mit seinem Sohn zusammengetan. Sie polierten in einer Reihe von Remixen, von denen gerade die vierte CD erschienen ist, die alten Stücke auf. Man merkt hier den Willen, en vogue zu sein. Tangerine Dream hatten, das belegt wiederum die 5-CD-Box «Tangents 1973-1983», den Menschen jenseits seiner spirituellen Sehnsüchte komplett vernachlässigt. Sie hielten sich fern auf und verloren die Erdhaftung. Das passierte damals vielen. Nur wenigen passierte es nicht.

Harmonia: Musik von Harmonia. Cluster: Cluster II. Guru Guru: Guru Guru. Embryo: Steig aus. Yatha Sidhra: A Meditation Mass. Jane: Jane III (alle: Brain/Universal). - Tangerine Dream: Dream Mixes IV (TDI/Indigo). Tangerine Dream: Tangents 1973-1983 (Virgin/EMI). - Hans Joachim Irmler: Lifelike (Staubgold/RecRec). Faust vs. Dälek: derbe respect, alder (Staubgold/RecRec).

© Adam Olschewski | Neue Zürcher Zeitung | 02/2004

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